Wir sind gestern in Brighton angekommen. Man kann hier hinfahren, man muss aber nicht. Das „kann“ ist allerdings ein sehr vages „kann“. Susanne war erst mal enttäuscht, dass der Strand so gar nicht sandig war sondern durchweg steinig. Ihr Plan, in Brighton zu baden, wurde aber durch etwas anderes vereitelt: das Wetter. Viele Gebäude, ehemalige Hotels wohl, die direkt am Strand liegen, wirken heruntergekommen. In der zweiten Reihe, da wo die Geschäfte etabliert sind, ist es ein wenig anders, aber dort fallen einem die vielen Obdachlosen auf. Den Pier hatten wir uns aus der Ferne angeschaut, dann aber entschieden, lieber etwas essen zu gehen.

Das war eine gute Wahl. Ein Deutsch sprechender Tunesier „lockte“ uns in ein Restaurant mit dem Namen „The House“. Irgendwie waren wir der Meinung, es wäre französische Küche, aber ein Steak suggerierte mit seinem Namen, dass es aus Paris käme, und ein anderes, dass es einem französischen Wald entstamme. Beides ist wenig wahrscheinlich. Unsere Vierer-Gruppe hatte eine Art Knoblauchbrot als Vorspeise, die sehr gut war, gefolgt von einem Steak, zweimal Kalbsleber und einem Risotto mit Spargel und Pilzen. Während die Bewertung der Kalbsleber zweigeteilt ausfiel, waren die anderen beiden Speisen perfekt zu nennen. Der Service war freundlich, aber ein wenig unzuverlässig. Man sah die Bedienung häufiger nicht und während man über ein vergessenes Glas Wein noch einmal hinweg sehen kann, ging die zweite Sache dann gar nicht mehr: Die Flasche Wasser, die wir nachbestellt hatte, war dann schon ärger. Einmal bestellt, kam sie nicht, dann wurde daran erinnert und sie kam immer noch nicht, bei der dritten Erinnerung meinte der durchaus freundliche Bediener, mir eine Geschichte dazu erzählen zu müssen, die seiner Meinung nach so enden sollte, dass wir die Flasche Wasser ja schon bekommen hätten. Da mir der Verlauf der Geschichte nicht stimmig erschien, musste ich die Story korrigieren und dann bekamen wir unsere Flasche Wasser auch. So landet das Restaurant nur bei einer 3 1/2 von 5. Es geht viel schlimmer, keine Frage, der Anspruch den das Restaurant hat, erfüllt es aber nicht.

Um kurz nach zehn Uhr hatten wir alle unsere Sachen im Auto verstaut, trafen kurz unsere Gastgeberin und fuhren dann in Richtung der Sheffields Parks and Garden. Die hatte ich durch Zufall in unserer Nation Trust-App entdeckt und die Bilder, die gezeigt wurden, sahen sehr apart aus. Von Canterbury aus, sollten es etwas zwei Stunden sein – von dort nach Brighton noch mal eine halbe Stunde. Die erste Ablenkung gab es schon kurz hinter Canterbury. Da hatte ich schon am ersten Tag entdeckt, dass es ein Weingut geben sollte – eines, wo englischer Wein hergestellt wird. Das klang interessant. Nun wollte ich das gestern mal in Augenschein nehmen. Das scheiterte daran, dass ich keine Zufahrt fand. Fünfundvierzig Minuten später gab es wieder ein Schild, auf dem sich ein Weingut anpries. Statt rechts fuhren wir links und kurze Zeit später, waren wir an einem Weingut, dem ein Shop angeschlossen war. Da probierten wir ein wenig herum – englischer Wein scheint wirklich trinkbar zu sein – und ich entschloss mich, eine Flasche Wein mitzunehmen, die man mal in Ruhe probiert, ohne dass diverse Herrschaften um einen herum stehen. Da bin ich wirklich gespannt.

Auf dem Weg zum Parkplatz wurden wir noch in die Unterschiede zwischen englischen und britischen Wein eingenordet: Englischer Wein wird komplett, samt Trauben, Ernte und so weiter, in England hergestellt. Der britische Wein kann mit Trauben bzw. Most aus dem Ausland verarbeitet werden. Ein Unterschied, wie ich bemerkte, für die englischen Weingüter sich immens wichtig ist. Es gab noch eine weitere Ablenkung auf dem Weingut – eine riesige Sonnenblume, die höher als das erste Erdgeschoss des Hauses war, an dem sie stand.

Wir kamen wieder auf die Straße, die wir vorgestern auf dem Weg nach Sissinghurst schon gefahren waren, was wir an einer Baustelle erkannten und an einer EU-Flagge, die hier in Südengland nicht gerade in Massen herumhängen. Nachdem wir die Straße aber wieder in unbekannte Gefilde verlassen hatten, wurden wir auf eine Attraktion hingewiesen, die auch zum National Trust gehörte: Bateman’s.

Da wir nicht einmal großartig abbiegen mussten oder Umwege fahren, entschieden wir uns, abzubiegen und uns die Attraktion mal anzuschauen. Am Empfang bekamen wir ein paar Informationen in die Hand gedrückt und dann wurden wir freundlich durch einen schönen Garten – samt der Andeutung einer Streuobst-Wiese – zum Herrenhaus geschickt. Das kam sehr, sehr dunkel daher. Der ehemalige Hausherr Rudyard Kipling war Schriftsteller gewesen, das war mir noch gegenwärtig. Aber dass es der Kipling war, der den Mowgli im „Dschungelbuch“ erfand, war mir gar nicht so präsent. Man konnte die gut erhaltenen Räume besichtigen und in jedem Raum war wieder ein Experte zugegen, der gern bereit war, Fragen zu beantworten. Ich finde das faszinierend, dass diese Leute nicht reine Museumswärter sind, die aufpassen, dass die Leute etwas kaputt machen, sondern Menschen, die sich mit der Materie auskennen und ihr Wissen gern weitergeben. Natürlich finden wir heute die Betten als viel zu klein und die Badezimmer würden bei uns nicht unter Badezimmer laufen – weder bei Kipling noch bei Churchill, beeindruckend waren in beiden Fällen aber die Schreibtische. Im Falle von Kipling hatte man die originale Ordnung (sprich: Unordnung) wieder hergestellt, so dass der Besten aller Ehefrauen das Kompliment machen konnte, dass ihr Schreibtisch genauso aussehen würde, was für einen sehr kreativen Geist sprechen würde.

Als wir das Herrenhaus verließen, um die Mühle zu besichtigen, die zum Anwesen gehörte, fing es an zu regen und wir machten uns auf den Weg zum Tea Room, um ein wenig Mittag zu essen. Die Karottensuppe die ich hatte, wurde so zubereitet, dass man künstliche und natürliche Aromastoffe nicht wahrnehmen konnte. Lobend erwähnen möchte ich die Limonade, die ich schon am Vortag am Leuchtturm hatte und den Brownie, der wirklich oberlecker gewesen war – ein Fest für den Kakao und mit einer Feuchtigkeit gesegnet, für die irgendwer getanzt haben muss. Wir verließen den Tea Room durch einen kleinen Garten und begaben uns trockenen Fußes zur Mühle. Wir kamen durch einen parkähnlichen Bereich mit einem Teich voller Goldfische, darunter auch ganz kleine. Vom Haus aus gesehen, sah man zuerst den Teich und dahinter einen Rosengarten, der gekrönt war durch einen Springbrunnen. Dahinter wurde es wild. Die Mühle wurde im Augenblick noch umgebaut und restauriert. Deshalb war sie leider nicht in Betrieb.

Nach diesem erfreulichen Zwischenstopp ging es weiter Richtung Uckfield, in dessen Nähe sich die Gärten befinden sollten. Ulf hatte die Adresse via Google Maps herausbekommen. Als wir in einen Wald hinein fuhren, entfuhr es Susanne:
„Unsere Männer entführen uns.“
Was die Beste aller Ehefrauen mit einem begeistert gehauchtem „Oh ja!“ kommentierte. Großes Gelächter in unserem Auto. Susann hatte zuvor schon für große Heiterkeit gesorgt, als wir noch durch Kent fuhren. Wir sahen einen etwas höher gelegten Traktor, der aber für sich nicht riesig war. Wir fingen an zu mutmaßen, wofür er denn eingesetzt werden könnte:
„Der wird sicher auf den Weinfeldern benutzt“, war der erste Vorschlag.
„Dafür ist er zu niedrig“, meinte ich.
„Dann wahrscheinlich auf den Apfelfeldern“, meinte Ulf.
Das schien sehr plausibel und es brauchte eigentlich keines weiteren Vorschlags. Der kam trotzdem. Von der Besten aller Ehefrauen.
„Vermutlich für Kohlfelder.“

Nun fuhren wir auch nicht nur einfach so herum, wir waren auch kreativ. So prägten wir ein neues Wort. Die Beste aller Ehefrauen hat ein Faible für Streuobst-Wiesen. Susanne hat die nicht, da sie die Obstwiesen mit Kinderarbeit verbindet, ihrer eigenen Kinderarbeit. Aber sie weist Susann gern auf Obst-Anbau hin.
„Sieh da,  Susann!“ meinte sie einmal, „eine Streuobst-Wiese.“
Es folgte eine kurze Pause.
„Es ist wohl eher eine Plantage“, korrigierte sie sich.
„Genau“, sagte ich, „das handelt sich um Massenapfelbaum-Haltung.“
Ich habe es gegoogelt, das Wort gibt es noch nicht.

Als wir auf den Parkplatz für den Park fuhren, kam uns ein Auto entgegen. Dann schloss sich das Tor automatisch vor unserer Nase. Wir staunten, denn diese Art von Behandlung waren wir durch den National Trust nicht gewöhnt. Es stand ein Schild dort, auf dem von Gästen die Rede war, aber das Wort Garten oder Parks tauchte nicht auf. Auch sah die Anlage mehr industriell aus denn nach einer Institution, die sich der Schönheit der Natur verschrieben hätte. Umdrehen und weiter ging es. Dann kam einen Kilometer weiter das richtige Schild.

Die Anlage besteht aus Parks, für die man keinen Eintritt zahlen muss (soweit ich das gesehen habe) und dem Garten, der kostenpflichtig ist. Wir zeigten unsere Kärtchen für den Garten vor und Sue von der Rezeption, war ganz außer sich vor Freude: „A Tourism Pass! Great!“ Nachdem sie uns eingebucht hatte, erklärte sie uns anhand einer Map die Anlage und gab uns noch Informationsmaterial mit. Wir kamen nicht weit. Es fing an zu regnen. Ein Baum gab uns ein wenig Schutz und wir warteten ab, dass es aufhörte. Das tat es auch und wir spazierten weiter durch den Garten. Hier gab es weniger Blumen als vielmehr Sträucher, Bäume und Landschaft zu sehen – der Rest war Wasser oder Wiese. Eine gelungene Abwechslung zu dem, was wir die anderen Tage hatten. Dann fing es an richtig zu regnen und als es dann anfing zu schütten, kommentierte Ulf das mit den Worten: „Der leichte Regen hat aufgehört.“

Umdrehen ist niemals eine Option, wir wollten unbedingt die Teiche sehen und so kämpften wir uns von einer trockenen Stelle zur nächsten vor, ohne selber dabei trocken zu bleiben. Das hat sich gelohnt, obwohl das Wetter für einen solchen Park-Besuch denkbar ungeeignet war. Die Teichanlagen sind einfach wunderschön und wenn es einen Grund gibt, wieder nach England zu fahren, dann sicher diese Parkanlage und die Hoffnung, sie bei schönem Wetter besuchen zu können. Ich will nicht darüber lamentieren, dass ich nur eine Kaskade sah, die ganz nett war aber halt sehr künstlich, und den angelegten Wasserfall nicht. Aber ich behalte das im Hinterkopf.

Die Enten auf den Teichen waren ganz auf uns fixiert, sehr viele Menschen waren auch nicht unterwegs. Sie erhofften sich viel. Unser „Enten-Fütter“-Brot war aber im Auto geblieben. Am Ausgang gab es ein „Quak, Quak“-Schild und auf dem darum gebeten wurde, die Enten nicht zu füttern. Sie wären leicht übergewichtig und wären deshalb, wie bei Weight Watcher auf Diät. Damit sie ihr Ziel erreichen könne, solle man sie nicht füttern. Da erklärte viel und vor allem, die Penetranz, mit der die Enten hinter uns hinter her waren.

Der Eintritt in den Park kostete zehn Pfund. Hätten wir die „wirklich“ bezahlt, hätte es mir sehr weh getan, wenn ich den Park nach fünfundvierzig Minuten schon wieder zu verlassen. Aber so, dachte ich mir nur: „Blöd, aber das Wetter spielt halt nicht mit.“ Sue kommentierte das auch derart.

Dass die Entscheidung, den Park zu verlassen, goldrichtig war, wurde uns kurz darauf bewiesen. Da gingen die Huschen in  Dauerregen über. In Brighton war das Wetter dann aber wieder in Ordnung. Wir fanden das Haus, in dem wir nächtigten, auf Anhieb. Die Park-Situation ist ein wenig anstrengend und wir dürften in Kürze im Parkverbot stehen. Gewöhnungsbedürftig, wenn auch nicht unangenehm ist, dass wir nicht in einer Ferienwohnung oder -haus (bzw. -boot) wohnten, wie bisher, sondern wir waren Mitbewohner. Es gibt keine Türen zu ihrem Lebensbereich, ganz im Gegenteil – alle ihre Räume standen offen und konnten von uns beschaut werden. (Es war auch alles superordentlich und nichts lag herum – was mir Respekt abnötigt. Wenn wir das mal so könnten!)

Unser Host heißt Lori und wir können wahrscheinlich ihr reizendes Haus verwüsten, nur dürfen wir die Katzen nicht nach vorn herauslassen. Als wir kamen, saß eine schon bereit, und war neugierig, wer wohl kommt und ob sie die Dummheit begehen würden, sich es gleich mit der Hausherrin zu verderben.

Bad und Toilette werden auch geteilt. In diesem Haushalt wird offenbar auf Toilette und in der Badewanne (die riesig und sehr einladend ist) gelesen. Allerdings unterscheidet sich der Lesestoff eklatant von dem unsrigen – es gab keine Computer-Zeitschriften und Werbung vom Großmarkt, dafür die Vanity Fair und Bücher über indische Malerei.