Gestern Morgen kam ich in die Küche, in der Ulf schon Frühstück bereitete. Bevor ich mich daran machte, den Toast die richtige Konsistenz zu verpassen, meinte ich:

„Bevor wir heute nach Dover fahren, sollten wir noch die Kathedrale besichtigen. Es kann ja nicht sein, dass wir mehrere Tage in Canterbury sind, die Kathedrale uns nicht anschauen, später gefragt werden, ob uns die Kathedrale gefallen hätte und wir antworten, dass wir sie nicht gesehen hätten. Diese Peinlichkeit sollten wir uns nicht geben.“

Susanne setzte sich später an den Frühstückstisch und nachdem sie jedem ein Lächeln geschenkt hatte, meinte sie:

„Wir müssen uns unbedingt noch die Kathedrale anschauen.“
„Da sind wir uns einig.“

Damit ist schon mal klar, was wir gestern gemacht haben – wir sahen uns die Kathedrale an und anschließend fuhren wir nach Dover – womit der Bericht schon enden könnte.

Canterbury wird von einer Menge Menschen besucht. Die strömten durch die Straßen und ich dachte mir schon: „Oh, oh, oh – wir sind ganz schön spät unterwegs. Das wird voll werden.“ Pustekuchen!, kann ich nur sagen. Nachdem wir den Eintritt von zwölf Pfund berappt und den Hof vor der Kathedrale betraten hatten, war man nicht allein, aber es war kaum jemand da. Zumindest kam es einem so vor, schließlich waren wir durch die Attraktionen in London wie die Westminster Abbey verdorben.

Ich habe schon einige große Kirchen gesehen, in Frankreich gibt es eine Menge davon. Aber die Kathedrale von Canterbury war schon besonders. Meist stehen diese Kirchen auf öffentlichen Plätzen, auf denen heute viele Menschen herumwandern. Hin und wieder sind die Plätze recht klein, weil die Bewohner mit ihren Häusern der Kirche auf die Pelle gerückt sind. Hier was es aber so, dass die Kathedrale in einem abgeschotteten Bereich steht. Das mag nicht organisch sein und der Grund könnten kommerzielle Erwägungen gewesen sein.

Wenn man in eine Kirche dieser Größe betritt, ist es schwierig mit dem Wort „schlicht“ zu hantieren – die Größe konterkariert das. Aber die Gestaltung der Wände und Fenster war nicht überbordend. Es gab schöne Fenster, aber die des Langhauses ließen einfach nur Licht in die Kirche. Am Ende des Langhauses leuchtete der Chor rötlich-gelblich. Mir war in Westminster schon aufgefallen, dass man geführt wurde – hier war das auch so. Wir kamen also, bevor wir den Chor besuchten, in die Krypta – sahen da in einer Kapelle sehr, sehr alte Wandmalerei, die sehr verblasst war. Die Krypta war ein schöner Kontrast zu dem, was über ihr entstanden ist.

Als wir gestern in Rye die Saint Mary’s Church besichtigt hatten, schrieben die, dass der Unterhalt der Kirche 260 Pfund am Tag kosten würde. Im Prospekt der Kathedrale wird eine andere Summe genannt, die einen schlicht erschlägt: 18.500 Pfund pro Tag.

Wir lustwandelten noch ein wenig im Kreuzgang und prüften die Angaben der Gedenkplatten, bevor wir ohne den Garten betrachtet zu haben, zurück zu unserem Cottage spazierten, um nach Dover zu fahren.

Von Canterbury nach Dover braucht man etwa eine halbe Stunde. Dover hat die Klippen und eine Burg. Es hat auch einen Fährhafen, aber den zu bestaunen, fällt als Nebenprodukt mit ab. Wir hatten uns für die Klippen entschieden und das South Foreland Lighthouse am Ende des Weges. Die Beste aller Ehefrauen bekam gesagt, dass dort ein schöner Tee-Salon untergebracht wäre und damit ging der Marsch über Stock und Stein auch für sie in Ordnung.

Wie das in anderen Ländern so üblich ist, wird viel auf Eigenverantwortung gesetzt. Es gab also am Anfang einen kleinen Hinweis, dass es sich um Klippen handeln würde. Geländer, Absicherungen, weitere Hinweise über die Gefährlichkeit erübrigten sich damit. Wer ganz an den Rand gehen will, der kann das tun. Ich bin da ein wenig ängstlich und schaue immer, wie weit das Gras heruntergetreten war oder wie abgetreten eine Mulde war. Es hätte sicher die Gelegenheit gegeben, spektakulärere Aussichten zu filmen und zu fotografieren, aber das hätte ich vielleicht nicht überlebt. Die Beste aller Ehefrauen hatte mich immer kritisch im Blick.

Da wir immer noch Wetter hatten, das man so gar nicht mit England in Verbindung bringt – Sonnenschein und sehr warm -, kamen wir ziemlich ausgetrocknet am Leuchtturm an. Dieser war der höchste Leuchtturm von England und der erste Leuchtturm, der elektrifiziert wurde. Von der National Trust-Ticket-Angestellten wurden wir herzlich begrüßt, wenn auch die Konversation nach einem guten Anfang später auch ein wenig konfus wurde, was auch daran lag, dass die Beste aller Ehefrauen sie auf Englisch ansprach, es sich dann aber anders überlegte und mit uns auf Deutsch sprach. Da die Dame zugleich ein wenig zerstreut und fürsorglich war, versuchte sie immer wieder, sich einzuklinken, um die Frage, die sie nicht kannte, noch beantworten zu können. Da sich vom Zustand zwei gleiche Seelen trafen, kam man nicht zueinander. Susanns Koffein-Pegel war zu niedrig und sie war noch nicht bereit, einen Leuchtturm zu besteigen.

Der Tee-Salon im Leuchtturm ist ganz reizend. Der Tee war schmackhaft, wurde mir berichtet. Der Kaffee war reichlich, aber nicht sehr kräftig. Meine Limonade war sehr, sehr lecker. Dazu gab es Scones mit Rosinen, die mit Butter und Marmelade bestrichen wurden.

Derart gestärkt gingen wir ums Eck, um den Leuchtturm zu besichtigen. Unsere Karten wurden entgegengenommen und es gab einen kurzen Austausch unter dem Personal, wer die Führung macht. Wir waren ein wenig überrascht, dass es eine Führung geben sollte. Ian, unser Guide, war wie alle anderen ein Freiwilliger (übrigens gab es solche auch in der Kathedrale – auch die Dame, die uns begrüßt hatte, war keine „Angestellte“ im klassischen Sinne, sondern machte das freiwillig), sah wie die gepflegte Variante eines Seemanns aus und wusste unendlich viel über den Leuchtturm und den Schiffsverkehr um ihn herum. Als zusätzliches Plus ist zu vermerken, dass er nicht zu schnell sprach und für uns verdammt gut zu verstehen war. Diese Führung hat richtig viel Spaß gemacht und ich kann sie nur jedem ans Herz legen, der sich auf den Weg dorthin macht. Man kann wohl auch direkt zum Leuchtturm fahren, aber dann fehlt natürlich das Vergnügen der Wanderung.

Wir waren dann fast zwei Stunden am Leuchtturm, was mich wirklich überraschte und marschierten wieder zurück. Eine Richtung kann man gut in einer Stunde bewältigen, wenn man nicht zu viel posiert und fotografiert.

Zurück im Cottage ging es darum, was und wo wir gern essen wollen. Ich war für den Pub ums Eck, bei dem es donnerstags ein Bier und ein Burger für zehn Pfund geben sollte. Ein unschlagbarer Preis. Susanne hätte gern das Restaurant an Flüsschen mit kleinen Fenstern gewählt, von dem wir nichts weiter wussten, als dass es da war. Der Kompromiss war, dass man dort erst einmal ein Bierchen trinkt, die Karte checkt und bei Nichtgefallen weiter zieht. Das taten wir nicht.

Wir suchten uns einen Tisch und warteten, warteten und warteten. Die Bedienung kam nicht und mir fiel dann irgendwann wieder ein, dass man seine Bestellung am Tresen aufgibt. Da hätten wir noch lang warten können. Wir entschieden uns für das hiesige Bier, die große Variante – alles andere ist ja albern – und diskutierten über das Essen. Nicht alles war wirklich verständlich. Da ein bisschen Risiko aber gut ist, entschied ich mich dafür den Homemade Pie zu nehmen, Ulf nahm Fish’n Chips und die Damen etwas, was wir auf der Karte wiederkennen werden, aber der Name nicht so einprägsam war, dass er hier noch notiert werden konnte. Das Damen-Abendbrot stellte sich als kalte Platte heraus. Das (oder der) Pie war mit Lamm gefüllt, dazu ein paar Möhren und Erbsen, und ich würde sagen, dass es wie ein Gulasch ohne Soße in einem Pasteten-Teig war. Mir hat das sehr gut geschmeckt. Die Erbsen zum Fish’n Chips waren vorgestern schon als geminzt angekündigt gewesen, waren dann aber doch ganz nature.  Hier nun waren die Erbsen auch geminzt, was nicht so großen Anklang fand.

Die Beste aller Ehefrauen war noch sehr daran interessiert, herauszufinden was es mit dem Pimm’s auf sich hat. Es schmeckte wie leckerer Hustensaft, was sich mir beim Nachlesen, was Pimm’s ist auch erschloss – die Basis ist ein Kräuterlikör. Dazu dann noch das eine oder andere Bier und wir waren ganz froh, dass wir es nicht so weit nach Hause hatten. Ich kann mich an keinen Abend in diesem Urlaub erinnern, an dem wir um halb zehn Uhr schon im Bett waren. Gestern war das so.

Wir brechen heute die Zelte in Canterbury ab und reisen weiter nach Brighton.