Gestern Morgen hat die Beste aller Ehefrauen den Wecker um 5.30 Uhr klingeln lassen und zwar mit dem unmöglichsten Weckton, den das iPhone besitzt, in einer Lautstärke, die ebenso alle Nachbarn geweckt haben dürfte.

Am Abend gab es selbstgekochte Nudeln und Tomatensoße zu essen. Die Beste aller Ehefrauen achtet im Augenblick auf den Glutengehalt von Lebensmitteln, weshalb sie beschloss, dazu Kartoffeln zu nehmen. Als wir im Supermarkt standen und die Kartoffeln erblickten, kam es zu folgendem Dialog:

„Warum sind denn hier Kartoffeln im Einkaufswagen?“ fragte ich.
„Weiß ich nicht“, meinte Susanne.
„Die habe ich da rein getan“, meinte die Beste aller Ehefrauen.
„Warum? Wozu?“ fragte ich.
„Ich will keine Nudeln, wegen der Gluten.“
„Aha. Kartoffeln mit Tomatensoße?“ fragte ich noch mal nach.
„Ja. Das wird schmecken. Ulf will die auch essen.“

Ulf war nicht da und Ulf wusste davon nicht. Später gefragt, meinte er, dass er auch ein paar Kartoffeln essen würde. Die Beste aller Ehefrauen hat ein Hang zu schwarz und weiß und machte so aus dieser vagen Zustimmung eine absolute Entscheidung.

Man sieht, wir haben unseren Spass.

Beim Bezahlen im Pub fiel uns vorgestern auf, dass die Geldscheine mit einer Art Siegel gepflegt sind. Kurz zusammengefasst: E irgendwas R. Wir kamen darauf, dass „E“ wahrscheinlich für Elizabeth steht und das irgendwas für 2, aber das „R“ blieb uns ein Geheimnis. In solch einem Fall sollte man immer diejenigen fragen, die sich damit auskennen und das wären Einheimische. Da bot sich die Bedienung gerade zu an. Wir stellten die Frage und sie schaute uns an.
„Das hat sicher irgendwas mit Europa zu tun“, meinte sie.
Wir schauten sie entgeistert an.
„Wirklich?“ fragte ich, „Auf einer Pfund-Note?“ Das schien mir sehr, sehr unwahrscheinlich. Den anderen ging es wohl auch so.
Sie überlegte kurz und stimmte mir zu. Da sie keine Antwort wusste, entschuldigte sie sich.
„Ich bin wohl keine gute Engländerin.“

In den Pubs ist das Essen ein wenig eintönig, scheint mir. Die Steaks, die es in Carlisle gab, wurden serviert mit Pommes, frischen (oder frisch aufgetauten) Erbsen und Fleisch. Wenn es hochkam, gab es noch gebackene Zwiebelringe und einen gedünsteten Pilz. Gewürze wurden in den Kochprozess nicht einbezogen. Ich habe dazu mal die steile Theorie aufgestellt, dass sich die Engländer nicht kochen lernten, weil sie ihre Kolonien hatten. Die hatten ja leckeres Essen. Auf den Verlust der Kolonien waren dirgendwie Engländer kulinarisch nicht eingestellt. Vielleicht haben die Engländer auch zu viele Jahrhunderte darauf spekuliert, am Ende doch noch Frankreich zu erobern. Was in kulinarischer Hinsicht ohne Frage ein Zugewinn gewesen wäre.

Ein Wort zu den Airbnb-Unterkünften bisher: Es war immer besser, als erwartet und die Gastgeberinnen kümmerten sich wirklich um einen. Die Kontaktaufnahme erfolgte sehr weit im voraus, war freundlich und hilfsbereit in jeder Beziehung. Auf dem Hausboot in London gab es einen Obstteller, Brot, Butter und einigen Aufstrich im Kühlschrank. Auch Eier waren da. In Canterbury standen wir Gläser für Weißwein samt gekühltem Wein auf dem Küchentisch und auch hier war ein Brot mit Butter im Kühlschrank. Auch das vielmehr, als man von einer normalen Ferienwohnung erwartet. Wir sind jedes Mal positiv überrascht worden.

Nach einem ausgiebigen Frühstück gestern Morgen ging es los zu einem der wichtigsten Punkte auf der bucket list: Sissinghurst Castle Garden. Die Beste aller Ehefrauen spricht schon seit Jahren von diesem Garten, vermutlich, seit dem Tag, an dem wir uns kennenlernten. „Den möchte ich auf jeden Fall besuchen“, sagte sie immer wieder und jetzt, wo wir wirklich mal im Urlaub dort in der Nähe waren, mussten wir dorthin. Sissinghurst war etwa eine Stunde von unserer Unterkunft entfernt. Wir fuhren durch das ländliche Kent. Die Engländer kennen ihre Straßen ganz gut, mir sind sie stellenweise sehr suspekt. Eng, ohne Fahrbahn-Markierung und an der linken Seite gibt es statt ausreichend Platz irgendwelche Büsche und Hecken, von denen man nicht weiß, was sie verbergen.

Um elf Uhr sollte der Garten geöffnet werden, eine halbe Stunde vorher hatten wir Sissinghurst erreicht. Unseren Sticker zum Gratis-Parken an Attraktionen vom National Trust hatten wir an der Windschutz-Scheibe befestigt. Die Dame am Parkplatz-Eingang nahm uns in Empfang:
„Sie möchten parken?“
„Ja.“
„Sind Sie Mitglied des National Trust?“
„Ja.“
„Haben Sie einen Sticker, den Sie mir zeigen können?“
Susanne hatte ihren Ausweis parat.
„Der ist gut“, meinte die Dame.
„Wir sind so stolz, Mitglied zu sein und auf den Sticker“, meinte ich, zeigte auf die Windschutzscheibe und machte ein enttäuschtes Gesicht.
„Ohh“, erwiderte sie daraufhin, „da haben Sie den Sticker so gut auf der Scheibe angebracht und ich ignoriere ihn. Das ist wirklich schrecklich!“

Wir bewunderten auf dem Parkplatz die Helden unter den Kontinental-Touristen, die mit ihren eigenen Autos nach England fuhren und meldeten uns am Ticketschalter. Von den wie immer sehr reizenden Empfangsdamen bekamen wir zusätzliches Indomaterial und einen Coin, mit dem wir uns am Eingang ausweisen konnten. Wir spazierten ein wenig um das Schloss herum und standen, wie pünktliche Deutsche so sind, um Punkt 11 Uhr vor der Türe des Gartens.

Empfangen wurden wir von einem alten Herren und einer Blumenwiese, von der man gut träumen kann. Ich könnte auch sagen, wie für einen Film gemacht. Man trat durch ein Tor und erlebte seinen nächsten Schock: Englischer Rasen. Kein Kleeblatt, kein Moos, nur reines, pures, grünes Gras. Nun wäre ich der Meinung gewesen, dass dieses hohe Gut besonders geschützt wird. Das ist aber mitnichten so. Wer den Rasen betritt, der betritt ihn. Es wird schon einen Grund geben und wenn es nur der ist, schnelle zur anderen Seite des Gartens zu kommen. Hier, in Sissinghurst, wurde mein Verständnis von Rasen neu geprägt. Dass wir nur eine Wiese haben, dass wusste ich schon länger. Aber wer auch immer mir nun seinen Rasen zeigt, wird einen sehr kritischen Blick erdulden müssen.

Zu erwähnen sind übrigens auch die akkurat geschnittenen Hecken, die jedem, der selbst schon einmal Hecke geschnitten hat, einiges an Bewunderung abverlangt. Es beruhigt, dass die Gärtner dort nicht auf Sicht schneiden. Sowohl Wasserwaagen wie auch andere Hilfsmittel wurden beobachtet. Eine mit solcher Präzision geschnittene Hecke würde ich aber nur an dem Tag hinbekommen, an dem die erste vollautomatische Roboter-Heckenscheere bei uns Einzug hält. Das wird wohl noch dauern…

Wenn man den Weg auf sich nimmt, und den Turm emporsteigt, wird nicht nur mit einen sehr schönen Blick auf die Umgebung belohnt, sondern bekommt auch einen schönen Überblick über den Garten. Auf dem Weg hoch oder runter kann man sich noch über den Garten und seine Entstehung informieren, wir haben uns aber auf die Natur-Schönheiten konzentriert und und fanden daran unseren Gefallen.

Nach einem Heiß- bzw. Kalt-Getränk steuerten wir ein zweites Ziel an, wiederum dem National Trust angehörend. Es war nur zwanzig Minuten entfernt und hörte auf den Namen Bodiam Castle. Ich habe nun schon einige Lenze auf dem Buckel, ich bin immer noch überrascht, dass ich überrascht werden kann. Es handelt sich um die Reste einer alten Burg und diese sind wirklich sehr gut erhalten, was die Außenmauern angeht. Die Burg sieht haargenau so aus, wie man sich eine Burg vorstellt. Umschlossen von einem Burggraben, in dem Enten und Entchen schwimmen, die man füttern kann, und Fische, von denen man annehmen kann, dass sie mit ihrem Mund ohne Problem eines der Entchen einsaugen können. Einfach riesig.

Im Burginneren ist es mit der Pracht vorbei, da nur noch Ruinen übrig sind. Die Geschichte wird einem durch zwei Schauspielerinnen näher gebracht, die erklären warum und wann die Burg von wem erbaut worden ist. Das hatten sie sehr professionell und liebevoll gemacht, ohne zu vergessen, die anwesenden Kinder mit einzubeziehen. Die spielten mit und riefen „Buuuhhh“, wenn ihnen was nicht gefiel. Wenn die Gemächer von damals auch nicht vorhanden sind, so kann man doch einen Turm besteigen und sich einen Überblick verschaffen.

Drumherum wird noch gezeigt, wie damals Schmuck, Schuhe und Essen hergestellt wurde, es gab Ritterspiele für Kinder und vieles mehr. Dorthin zu fahren, und mit seinen Kindern Spaß zu haben, ist ohne weiteres möglich. Wir hatten ihn.

Ulf übernahm nun das Steuer und brachte uns sicher nach Rye, wo wir noch einen kleinen Spaziergang machten. Die Häuser sind wirklich lieblich, Bill Bryson schrieb das genauso wie mein Reiseführer, und wir nutzten die Gelegenheit, uns in dem Ort mit einem kleinen Tee zu erfrischen. Wir haben immer so ein Glück, würde ein Freund sagen, denn wir gerieten an einen Laden, in dem behinderte Menschen arbeiten konnten. Wir wurden von einer Frau mit Down-Syndrom bedient. Das war – ich will es mal so sagen – nicht ganz einfach. Die Tee-Bestellung der Besten aller Ehefrauen quittierte sie mit einem Lachen und schaute dann mich an. Sie schrieb sich das nur nicht auf. Ich bestellte eine Cola, was unkompliziert war und notiert wurde. Aber ich wollte auch einen Scone mit Butter. An der Stelle wurde es ein wenig holprig, da sie zurückfragte, ich aber nicht verstand was. Das lag auch daran, dass sie nach der Frage, lachte und sich wegdrehte. Gemeinsam bekamen wir es aber hin, dass notiert wurde, dass ein normaler Scone mit Butter kommen sollte. Ein Kaffee und ein weiterer Tee kamen noch auf den Zettel, dann legte sie uns die aufgenommene Bestellung vor und wir konnten sie prüfen. Die Frau brachte noch das Besteck, die Chefin dann die Getränke und das Gebäck.

Am Nachbartisch saß ein älteres Ehepaar und trank seine Tee. Sie beobachteten unseren Bestellprozess und lächelten herüber. Es war ein aufmunterndes Lächeln. Kurze Zeit später, fragte die Frau uns, wo wir denn her kämen. Aus Deutschland, antworteten wir wahrheitsgemäß.

„Aha“, meinte die Frau und der Mann meinte:
„Kennen Sie den amerikanischen Autor Bill Bryson?“
Wir nickten.
„Er hat geschrieben, dass für englische Muttersprachler schwierig wäre, Deutsche und Holländer auseinander zu halten.“
Er nannte noch ein drittes Völkchen, aber ich kann nicht erinnern, was dieses für eines war. Franzosen? Kann sein, aber da wäre ich der Meinung, dass man dies vom Deutschen und Holländischen gut unterscheiden kann.

Apropos  Bill Bryson: Auf dem Hinflug las ich auf der Titelseite der Zeitung meiner Sitz-Nachbarin, dass Bill Bryson eine neue Fernsehserie über England macht. Da der Artikel selbst meine Nachbarin nicht interessierte, kann ich nicht mit weiteren Details aufwarten.

Das ältere Paar fand Deutschland ganz „attraktive“. Das Wort hat viele Bedeutungen, deshalb ist es am Einfachsten die Bedeutung aus dem Deutschen zu nehmen. Das würde es sympathisch machen, obwohl mir im Leben nicht einfiele, ein Land, ein Ort oder gar einen Gegenstand attraktiv zu finden. Es war aber ein nettes Gespräch mit den beiden, was von ihnen charmant eingeleitet wurde und recht abrupt mit den Worten abgebrochen wurde, sie wollten uns nicht weiter stören. Diese Engländer können wirklich reizend sein.

Wenn wir ehrlich sind, haben wir noch gar keinen Engländer kennengelernt, der das Gegenteil von reizend gewesen wäre. Sie sollen mal zusehen, dass sie diesen Lauf in den nächsten zwei Wochen nicht noch vermiesen. Wir dagegen vergaßen zu fragen, wo sie denn herkämen und ob es ihnen gefalle. An unseren Umgangsformen müssen wir wohl noch ein wenig arbeiten.

Die Damen aus dem Tee-Salon sagte uns, was wir uns anschauen sollten. Die Kirche und die Trödel-Läden am Hafen. Das mit der Kirche Saint Mary’s Church ist durchaus richtig. Aber interessanter sind die kleinen Gassen mit den alten und liebevoll erhaltenen Häusern. Ein Haus hatte zwei Haustüren und über den beiden Haustüren stand: „The house with two front doors“. Wenn man es genau nimmt. Stimmte das heute nicht mehr. Nur eine Tür hatte einen Briefschlitz und damit war die Tür eindeutig die Front-Tür schlechthin. Aber in diesen Streit sollte ich mich nicht einmischen, da sollen die Türen unter sich ausmachen.

Das mit dem Trödel kann man sich ganz schenken. Meine persönliche Meinung.

In Rye gibt es auch das Lamb House, in dem Henry James gelebt hatte. Ich hatte das im Hinterkopf, wusste aber nicht, wo es lag. Nun kamen wir durch Zufall an diesem National Trust-Denkmal vorbei, aber es hat nur Donnerstags bis Sonntags geöffnet. So konnten wir es leider nur von außen betrachten.

Fährt man aus Rye in Richtung Canterbury heraus, kommt man noch an einem sehr großen, gut erhaltenem Stadttor vorbei. Dass dieses nicht von der Ryerin erwähnt wurde, wunderte mich ein wenig. Es ließ sich dort aber nicht parken.

Eine Stunde später waren wir schon in unserer schicken Lodge und verbrachten den schönen Abend bei Kartoffeln mit Tomatensoße bzw. Nudeln und Tomatensoße, ein wenig Wein – das Ganze im Garten bei klarem Himmel. Ab heute soll sich das Wetter ändern. Da wir bisher keine gute Meinung vom Wetter hatten, sind wir sowieso schon heilfroh, was wir für ein Glück hatten, und werden die jetzt kommenden etwas feuchteren Tage auch überstehen. Außerdem: Was ist England ohne Regen?