Die Erwähnung des Namens Apolda löste bei einem Freund nur Stirnrunzeln aus: „A…was?“ war die Frage und die Information, dass es sich um eine Kreisstadt in der Nähe von Weimar handeln würde, wurde mit einem Schulterzucken quittiert. Ich hätte noch anfügen können, früher mal eine bedeutende Industriestadt der Region und bekannt für seine Glocken. Darüber hinaus eine Stadt, an der mein Vater hängt und, und, und.

Früher war das mal eine ziemlich graue und dreckige Stadt gewesen. Ich war da gewesen, weil die Tante dort noch lebte. Dann ganz lange Zeit nicht. Erst 2009 kehrte ich für weniger als 90 Minuten zurück in die Stadt. Wir waren auf dem Weg von Potsdam Richtung Elsass, hatten in Thüringen übernachtet und wollten weiter ins Elsass. Ich hatte mir eine neue Kamera gekauft und die wollte ausprobiert werden. Wir hielten vor einem Haus und da war gerade ein Abriss-Kommando am arbeiten. „Oh Gott!“ dachte ich, die werden doch jetzt nicht Stern-Radio abreißen. Aber es war ein Haus weiter und das Haus von Stern-Radio gab es noch und daneben auch die berühmte Bahnhofsstraße 63, mit seinen Zinnen, zurückgesetzt und tieferliegend mit seiner herrschaftlichen Auffahrt.

Wir knipsten ein paar Fotos, ich kaufte für die beste Ehefrau der Welt ein paar Filinchen – damit sie das auch mal kennenlernt – und dann ging es weiter Richtung Frankreich.

Zum Geburtstag des Herrn Papa hatten wir den Ausflug nach Thüringen geschenkt und neben Weimar war auch Apolda als Ausflugsziel gesetzt. So ging es am zweiten Tag, nachdem wir freundlich von den Hunden geweckt worden waren und das Frühstück eingenommen hatten, in Richtung Apolda. Das Wetter war, wie wir es hätten am Vortag gebrauchen können: heiter und trocken.

Auto 1 aus Norddeutschland hatte das Navi, in Auto zwei saß mit dem Herrn Papa die gesammelte Apolda-Kompetenz. An einer Ampel wurde heftig geblinkt und gestikuliert – die Route solle geändert werden und so fuhren wir eine Straße, die auf dem Navi wie eine Sackgasse aussah. Die Erklärung folgte auf dem Fuße bei einem kurzen Halt: „In dem Gebäude da, habe ich meine Lehre gemacht.“

Nun übernahm Auto 2 die Führung und wir wurden unter sachkundiger Anleitung in die Bahnhofstraße 63 geführt. Übrigens unter dem schon imposanten Viadukt durch, von dem ich leider keine Fotos bieten kann. Ein Grund, mal wieder in Apolda vorbei zu schauen.

Da hatte sich seit meinem Besuch nicht viel geändert. Für das Tantchen und Herrn Papa war das ganz anders. Rein kamen wir aber nicht. Irgendwann – das ist wohl unvermeidlich, wenn vor einem Haus eine Gruppe von Menschen auftaucht, die auch noch wie wild fotografiert – fing auch der erste Bewohner an, sich für uns zu interessieren. Wahrscheinlich sind die Menschen aus der Zeit der Rückübertragungsansprüche geprägt, es war kein freundlicher Blick und auch kein Entgegenkommen zu verzeichnen, als wir fragten, ob wir den Garten besichtigen dürften. „Nein“, war die schroffe Antwort und damit verzog sich der Bewohner des Erdgeschosses, von dem ich in den wenigen Sekunden Kontakt keinen sehr günstigen Eindruck gewonnen habe und meine Meinung über ihn, würde sie geäußert werden, eventuell auch justiziabel ist.

Am alten Stern-Radio-Gebäude stehend sah man, dass das Nachbarhaus hinter der hohen Mauer sehr schöne Balkons spendiert bekommen hatte. Da wohnte früher der Kohlenhändler, bekamen wir zu hören. Jetzt wohnte da wohl jemand anders und der hatte sich um dieses Haus sehr verdient gemacht (die Nummer 65, wenn man es genau möchte). Wenn man durch die Bahnhofstraße hineinfährt, dann findet man die 63 ganz gut – es ist das Haus neben der Persil-Uhr. Die vor der 65 steht – über das Haus wissen wir jetzt auch eine ganze Menge, denn während wir den schönen Balkon von seiner Schokoladenseite betrachteten, kam der Besitzer des Anwesens  auf die Straße.

Zuerst dachte ich „oha“, aber nach ein paar freundlichen Worten, fing er an zu reden, fragte uns aus. Das Haus hätten sie vor ein paar Jahren gekauft und von außen renoviert (innen war es schon renoviert). Auch das Nebengelass wäre aufgemöbelt worden, da wohnte jetzt der Besitzer, und der Herr Papa konnte hinzufügen, dass man da früher die Kohlen bezahlt hatte, die man gekauft hatte. Wir fragten, ob es hinter der 63 immer noch so aussehen würde, wie früher. Das wusste er nicht, da er früher da nicht gewohnt hatte, aber er lud uns ein, doch von seinem Grundstück eine Besichtigung vorzunehmen.

Ein sehr exklusiver Blick. Das Grundstück der 65 liegt höher als das der 63, so war das über den Zaun luschern nicht so schwer. Von der Rückseite sah das Haus gar nicht mehr so schick aus, da gibt es noch einigen Optimierungsbedarf.

„Schau“, meinte das Schwesterchen, „da ist das Klo, in das Du uns eingesperrt hast.“

Erzählt man über Apolda, erzählt das Schwesterchen immer, dass wir da mal im Klo eingesperrt waren.

Da Dummheiten nicht allein meine Angelegenheit sind und ich kaum noch Erinnerung daran habe, sage ich dann immer:

„Wo wir uns eingesperrt haben.“

Vermutlich fand das Schwesterchen die Situation damals nicht halb so lustig wie heute.

Und in ein paar Jahren heißt es dann:

„Da waren wir im Garten und da haben wir den Autoschlüssel des Herrn Papa verloren und auf dem Grundstück des Nachbarn suchen müssen. Alle waren in heller Aufregung, außer der Herr Papa, der die Bahnhofstraße abfilmte.“

Bei der Gelegenheit kann ich dann sagen:

„Nein, nicht wir haben ihn verloren. Du hast ihn in Deiner Handtasche in einem Geheimfach vermüllt.“

Ich wusste gar nicht, dass die Innenstadt von Apolda so schön ist. Oder besser: So viel schöner als früher. Wir kamen auf den Marktplatz und ich dachte: „Das ist doch mal nett.“ Beim letzten Besuch waren wir soweit gar nicht vorgedrungen. Jetzt gingen wir über den Marktplatz, hörten den allerletzten Klatsch aus den Sechzigern, sahen die Schule des Herrn Papa, betrachteten das Kaufhaus (jetzt leerstehend, früher etagengroße Fenster in Sanitärräumen habend – was ziemlich irritierend ist, aber gewiss dafür gesorgt hat, dass man sich nicht so lang drin aufhielt), hörten ein Stück des Glockenspiels der ehemaligen SED-Kreisleitung – das alles bei schönstem Sonnenschein und der Erkenntnis, dass es auch in Apolda italienisches Eis gibt. (Es war noch vor zwölf, wir hielten uns zurück.)

Weiter ging es in Richtung Bad Kösen, um Mittag einzunehmen, und dann wollten wir uns auch langsam die Heimreise antreten. Wir wussten ja nicht, wie lang wir unterwegs sein würden. In Eckartsberga gibt es eine Burg. Da aber gewisse Festivitäten zu verzeichnen waren und damit auch ein Andrang, den wir meiden wollten, ging es weiter nach Bad Kösen. Dort bog ich vermeintlich in die Innenstadt ab, aber verfehlte. Wir sahen die Rückseite vom Bahnhof auf der einen Seite und den Park auf der anderen – einen Blick, den ich früher vom Zug hatte. Damals besser, da jetzt waren wir hinter einer meterhohen Hecke, die vom Bahndamm aus nicht stört.

Wir fuhren und fuhren und fuhren – eine Innenstadt kam nicht, dafür ein Schild „Hier kocht Oma!“. Das konnte nur die halbe Wahrheit sein, denn keiner in Wagen 1 und Wagen 2 konnte sich rühmen, noch eine Oma zu haben, die in der Lage gewesen wäre, irgendwo zu kochen. Vielleicht aber kochte die Oma des Besitzers und das war zumindest früher ein gutes Zeichen (ganz ehrlich – ich habe Zweifel, ob das heute noch immer eine verlässliche Referenz ist.) Es ging den Berg rauf und so landeten wir in Himmelreich. Das Schild hatte ich schon auf der B87 hinter Hassenhausen gesehen, aber da stand nur der Name und nichts weiter. Den Rest musste man sich denken und ich dachte: „Schau an, was für ein lustiger Name.“ Ein Ausflugslokal also, in dem die Oma noch kochen muss.

Aber egal, das Essen war gut und man hat, und das ist der Aha-Effekt, einen fantastischen Ausblick auf Bad Kösen und eine Flussbiegung der Saale.