Nur zwei ganze Tage für London einzuplanen ist zu wenig. Geahnt hatten wir das schon, aber nun wissen wir es auch. Der gestrige Montag stand im Zeichen von Parlament und Westminster und wir starteten wie am Tag zu vor. Die leichte Hoffnung, die wir hatten, dass am Montag vielleicht weniger Touristen unterwegs sind, erwies sich als fataler Irrglaube. Zu bestimmten Zeiten war es schon anders, aber nur in der Hinsicht, dass sich zu den knipsenden und schlendernden Touristen noch die hektischen Londoner gesellten, die arbeiten mussten. Eindeutig ein Höhepunkt einer jeden London-Reise dürfte es sein, sich um halb sechs Uhr nachmittags in die U-Bahn in der Stadtmitte zu begeben.

Vorgestern hatten wir es geschafft an der Station London Bridge in die falsche Richtung zu laufen, allerdings durch die Kontrolle und damit wurde uns die Fahrt abgezogen, auch wenn wir zwei Minuten später den Bereich wieder verlassen hatten. Dann „checkten wir in den Unterground ein“ und mussten dafür natürlich unsere Karte wieder bemühen. Gestern Morgen haben wir dann mit Freude festgestellt, dass die Verkehrsbetriebe von London so etwas wie eine Idioten-Sicherung haben, denn die Fahrt mit der U-Bahn wurde uns nicht noch einmal berechnet.

Das sahen wir, als wir nach einem Frühstück im Garfunkel’s am Bahnhof Paddington mit der U-Bahn in Richtung Westminster fuhren. Die Verkehrsbetriebe in London haben einen merkwürdigen Humor, der sich auch bei der Benennung ihrer Linien zeigt – man sollte sich die Circle Line wirklich genau betrachten. Sie fuhr uns jedoch nach Westminster und als wir ausstiegen, waren wir mittendrin. Susanne schaute herum und ich fragte sie, ob ihr was auffiele. Sie schaute herum und ihr fiel nichts auf.

„Wenn mich nicht alles täuscht, stehen wir vor dem Big Ben.“
„Nein, wirklich!“ rief sie aus und schaute. „Ist er das?“
„Ich weiß es nicht, ich nehme es an.“

Wir suchten uns ein ruhiges Plätzchen zum Knipsen, was sich als schwierig erwies, da meistens irgendwelche Busse, Lastwagen oder Lampen davor waren. Man muss sich schon ein wenig entfernen. Ein kurzer Check auf der Karte und wir erlebten eine Überraschung:

„Ich habe mich geirrt“, meinte ich, „das ist der Elizabeth Tower.“
„Was?“
„Steht hier. Das ist der Elizabeth Tower. Aber zu dem wollten wir ja auch.“
„Wo ist denn dann Big Ben?“
„Muss ich suchen.“

Ich fand ihn nicht.

„Vielleicht“, meinte Ulf, „sind Elizabeth Tower und Big Ben das Gleiche.“

Eine stimmige Erklärung, zumal der Elizabeth Tower genauso aussah, wie man den Big Ben in Erinnerung hatte und selbst die Engländer würden sich nicht Plagiate in ihre Stadt stellen, oder?

Wir gingen über die Ampel zum Parlamentsplatz, an dem diverse Skulpturen standen. Diese, das war wohl die Vorgabe, sollten karikaturähnliche Züge haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass ausgerechnet ein Nationalheiligtum wie Churchill ziemlich hässlich dargestellt war. Wenn auch sehr prominent platziert.

Unser Weg führte uns am Parlamentsgebäude entlang, wenn auch auf der anderen Strassenseite, und dann in kleine Strassen. So umrundeten wir die Westminster Abbey, bevor wir uns in die Schlange einreihten der Besucher einreihten. Etwa eine halbe Stunde hatten wir anzustehen, dann waren wir drin. Fotos konnte man keine machen, Videos auch nicht. Es gibt so etwas wir einen Weg, den man zu gehen hat, und der führt einen über die Grabsteine verschiedenster wichtiger Persönlichkeiten. Das ist wohl das, wenn ich es mal despektierlich ausdrücken darf, was diese Kirche ausmacht – es ist so etwas wie der britische Nationalfriedhof. Es wird mit der Zeit langweilig, zumindest ging mir das so, da mir die ganzen Könige und der mit vergrabene Hofstaat nichts viel sagten. Ein paar kennt man, gut, aber die meisten nicht. Ich würde da nicht begraben sein wollen unter einer Steinplatte, über die jeden Tag tausende von Leute latschen.

Der Kampf gegen die Zeit war nicht zu gewinnen und so war, als wir die Kirche verlassen hatten, schon wieder Mittagszeit. Eine Kleinigkeit wollten wir zu uns nehmen und ließen uns über die Westminster Bridge auf die andere Seite treiben. Dieses Gefühl, etwas haben zu wollen, hatten tausende andere Menschen wohl auch, weshalb die Schnellgastronomie-Anbieter dort sehr gut zu tun hatten. Aus Salaten und Sandwiches bestand unsere Beute. Einen Platz zum Sitzen fanden wir allerdings. Immerhin war ein schattiges Plätzchen drin und wir blickten auf das London Eye, die nächste Attraktion, die bei uns auf dem Plan stand.

Bei der Buchung hatten wir uns für Fast Track-Karten entschieden und ich glaube, das war auch gut so. Die Fahrt dauerte ungefähr eine halbe Stunde und bietet schöne Ausblicke auf die Stadt. Es lohnt sich, auch wenn es kein günstiges Vergnügen ist – aber was ist schon günstig in dieser Stadt?

Susanne wollte unbedingt noch zum Buckingham-Palast, ein Ziel das ich nicht für so wichtig hielt. Mir war die St. Pauls-Kathedrale noch einmal wichtig, die wir am Vortag einfach so verlassen hatten und gesagt hatten, wir kämen wieder, wenn man sie besichtigen kann. So fuhren wir mit dem Dampfer – so hatten wir auch die obligatorische Dampferfahrt hinter uns gebracht – in Richtung Tower Bridge, sahen die Stadt noch einmal von der Flussseite, um uns dann in die Richtung Kathedrale zu bewegen.

Ich hatte das Gefühl, dass es gegen meine Pläne die Kathedrale zu besichtigen, eine leichte Opposition gab. Ich wäre davon ausgegangen, dass diese nicht von meiner edlen Gefährtin unterstützt wurden, aber manchmal täuscht man sich, und wenn die Beste aller Ehefrauen schon nicht im Bann von Harry Potter steht (zumindest nicht immer), so steht sie doch im Banne von Yellow-Press-Blättchen und schien sich einiges von dem Besuch des königlichen Schlosses zu versprechen. Letztlich war es wieder die Zeit, die mir einen Strich durch die Rechnung machte. Als wir am Pier von Tower ankamen, stellten wir fest, dass die St. Pauls-Kathedrale schon um halb fünf Uhr zumacht. Da konnten wir uns auch erst einmal eine Teezeit gönnen und uns anschließend in den Londoner Berufsverkehr stürzen.

Was für ein Spaß!

Aus der U-Bahnstation Green Park fällt man direkt in den Park vor dem Buckingham-Palast. Menschen saßen in Liegestühlen auf den Grünflächen und sonnten sich. Sehr idyllisch. Das gleiche Bild sollte uns später im Hyde-Park unterkommen. Weniger als zehn Minuten später war man schon vor dem Palast und – was soll ich sagen – steht vor einem Schloss, dass man nicht wirklich als hübsch bezeichnen kann und schaut zu, wie nichts passiert. Gut, wir hätten einen Wachwechsel mitmachen können. Aber ehrlich: Wenn man das schon in Oslo, Kopenhagen und Stockholm gesehen hat, dürfte das in London auch nicht viel aufregender sein. Der Park dahinter, der zum Schloss gehört, ist durch eine große, stacheldrahtbewehrte, Mauer umgeben, so dass wir uns dazu kein Urteil erlauben kann. Hatte ich in genügendem Maße damit zum Ausdruck gebracht, dass der Buckingham Palace zwar ein touristisches Ziel sein mag, er in meinen Augen nicht wirklich interessant ist? Gut, dass wir uns verstehen!

Über den Hyde-Park in unmittelbarer Nähe können wir schon ein wenig mehr Auskunft geben. Es gibt kleine Ecken, von denen wir nicht viel sahen, die in die Richtung „Park-Anlage“ gingen, die man mit England verbindet. Aber ansonsten gibt es wohl nicht viele Parks, die mit so großen Flächen der Ödnis aufwarten, wie der Hyde-Park. Bemerkenswert war, wie viele Leute sich wieder auf Liegestühlen, die man dort mieten kann, niedergelassen hatten und sonnten. Außerdem waren die Engländer gern durch Parks mit geliehenen Fahrrädern und versuchen, Fußgänge umzunieten. Man muss also wie Hölle aufpassen, dass man nicht überfahren wird. Die Stadt ist wirklich gefährlich.

Ein letztes Ziel war der Hort der freien Rede, der Traum eines jeden Liberalen, der Speakers‘ Corner. Unsere Erwartungen, wie auch die eines chinesischen Touristen, wurden enttäuscht. Offenbar gab es Fußball, alle Redner waren im Urlaub oder waren schon im Pub – da war niemand, der gegen irgendwas wetterte, kämpfte – wie auch immer. Dabei hätte es durchaus Themen gegeben, die wir auch hätten vorschlagen können: Zum Beispiel die miesen Öffnungszeiten der St. Pauls-Kathedrale und schreckliche Churchill-Standbild.

Uns zog es zurück zum Bahnhof Paddington, denn wir hatten beschlossen, dass die indische Küche eine Chance verdient hätte. Wir fanden ein kleines Restaurant, was aus irgendwelchen Gründen sich auch noch als romantisch bewarb, vermutlich weil es so klein war, und welches eine akzeptable Speisekarte hatte. Nachdem wir Stunde um Stunde unterwegs gewesen waren, meldete sich nun das Verdauungssystem und wir verbanden mit dem Besuch des Restaurants nicht nur die Möglichkeit der Stärkung sondern auch die des „etwas Loswerdens“.

„Haben Sie eine Toilette?“ fragte die Beste aller Ehefrauen den Restaurant-Besitzer.

Mit todernster Miene antwortete dieser: „Nein, haben wir nicht.“

Ich überlegte blitzschnell, was das für Konsequenzen haben würde. Würden wir jetzt zu den Leuten gehören, über die man sich wundert, die kaum, nachdem sie sitzen, das Restaurant verlassen und man grübelt den ganzen Abend, warum diese Leute das tun? Würden wir noch so lang durchhalten? Gab es anderswo eine Toilette? Ich verneinte all die Fragen innerlich und machte mich darauf gefasst, den Ort indischer Gastlichkeit verlassen zu müssen.

Da schob der indische Food-Manager nach: „Selbstverständlich haben wir eine Toilette.“ Puh, noch mal Glück gehabt. Nicht nur wegen der Toilette, auch das Essen war sehr gut und ein würdiger Abschluss für einen schönen Tag wie diesen.