Das Wifi in diesem Hotel ist mir ein wenig schleierhaft. Einerseits schafft man es, sich Serien mit Amazon Prime anzuschauen, so man eine passende VPN-Verbindung nach Deutschland hat, andererseits bekomme ich weder eine funktionierende Verbindung zu meiner Webseite hin noch lässt sich so etwas profanes wie Spiegel Online aufrufen.

Der SpiegelDie Nacht endete mit einer Erschütterung oder besser gesagt, mit den üblichen Erschütterungen. Mein Zimmer fängt dann an zu vibrieren und erst heute Nachmittag habe ich herausgefunden, dass es an dem Spiegel im Zimmer liegt, der versucht in Einklang mit den unter mir arbeitenden Küchenutensilien zu kommen. Nach näherer Untersuchung stellte ich fest, dass man dafür schon Vorkehrungen in Form von Filz getroffen hat. Ich habe das Problem mit Zellstoff auf eine wenig dauerhafte Weise gelöst und vermutlich dem Personal damit auch zu verstehen gegeben, dass irgendwas nicht fein ist.

Aus Trotz bin ich heute Morgen trotzdem nicht aufgestanden und bekam dafür dann beim Frühstück auch keinen Platz. Das hatte ich davon. Oder es waren heute viel mehr Gäste da, die sich gestern noch eingefunden hatten, nachdem England festgestellt hat, dass der Wetterbericht sich geirrt hat und es wirklich schönes Wetter geben soll. So überhaupt nicht wie vorhergesagt. Ich lag Donnerstag und Freitag allen Leuten in den Ohren damit, in dem ich uns schönes Wetter für das Wochenende gewünscht hatte. Ganz uneitel will ich hiermit feststellen, dass ich auch dieses Problem offenbar gelöst hatte. Da Undank der Welt Lohn ist, durfte ich dafür nicht aufs Wasser schauen und den tollen Ausblick bei schönen Wetter auf Derwent Water genießen, sondern mussten in einem Kabuff Platz nehmen, wo noch nicht einmal für Frühstück gedeckt war.

Ohne Ausblick gab es keinen Grund sich länger aufzuhalten als nötig, so hatte ich mit meiner frühen Abfahrt, aber wieder die Nase vorn. Für die Freunde des Fingers auf der Karte: Den Lodore-Wasserfall am Derwent Water suchen. Von dort aus ging es über Grange und Borrowdale in Richtung Buttermere. Dort gab es einen längeren Aufenthalt und dann ging es über Crummrock Water und Lorton nach Keswick. Unterwegs hatte ich noch einen schönen, wenn auch fernen Blick auf den Bassenthwaite Lake.

Die Straßen Richtung Grange wurden immer schmaler. Der Verkehr wurde aber auch weniger. Ich vermute mal, dass sich die meisten Leute in und um Orte wie Keswick versammeln und dann wird es schnell ruhiger. Wenn man nach Buttermere will, muss man über den Honister Pass. Oben gibt es einen Parkplatz, den ich passierte, mit einem Pub. Offenbar fahren viele nach oben, machen sich dann auf den Wanderweg und kommen zurück zum Pub, um auf den Erfolg einen zu heben. Vielleicht heben sie auch vorher schon einen. Wenn man allein unterwegs ist, hebt man mit Limonade oder Cola – das macht nur halb so viel Spaß.

Davor oder dahinter: Honister-Pass

Davor oder dahinter: Honister-Pass

So ging es den Pass wieder hinab, ein paar Fotostopps, um sich an einem Gebirgsbächlein und den einfassenden Bergen zu erfreuen und dann kam schon Buttermere.

Und der Parkplatz des National Trust. Ich habe das als Reminder für den August schon auf den Zettel geschrieben, dass wir eine temporäre Mitgliedschaft auf jeden Fall in Erwägung ziehen sollten. Die kostet achtunddreißig Euro pro Nase, wobei es auch Pärchen-Karten gibt, die günstiger sind, und hochgerechnet muss ich nur zehnmal irgendwo für zwei Stunden parken, dann bin ich schon im Plus. Auf diesem Parkplatz gab es auch einen Kontrolleur des National Trust oder nennen wir ihn besser Berater. Denn er unterstützte mich nicht nur beim Einstecken der Münzen, sondern sagte mir auch, wie lang ich ungefähr zum Scale Force Waterfall benötigen würde und wie ich dahin komme. Wir erinnern uns, dass ich mich immer noch dem Herumschleppen von Kartenmaterial verweigere.

Eigentlich bin ich dem schon recht aufgeschlossen, aber wohin sollte ich die auch stecken. Nicht nur, dass ich keine Wanderschuhe hatte, ich hatte auch keinen Rucksack geschweige denn einen Wanderstock. Das mit dem Rucksack wäre schon praktisch gewesen, denn der alte Mann vom National Trust hatte mir empfohlen, Wasser mitzunehmen. Selbstverständlich eigentlich, aber er sah mich wohl in meiner Aufmachung und meinte, es wäre klug, wenn er mir diesen Mindest-Tipp noch auf den Weg gibt.

„Wie lang braucht man zu dem Wasserfall?“ fragte ich.
„Vier Stunden“ antwortete er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich wollte mir keinerlei Überraschung anzeigen lassen, sah mich aber in einer Situation, die ich normalerweise durch Sieg durch Aufgabe gelöst hätte. Vier Stunden allein durch die Gegend zu marschieren, ist nicht so mein Traum. Was sollte ich in der Zeit mit mir anfangen? So lang könnte sich die Freude auf einen Wasserfall doch gar nicht halten? Es war eine verzweifelte Situation, denn der Mann machte den Eindruck, als würde er jedes Jahr jeden Wanderweg des Lake Distrikts persönlich begutachten. Da konnte ich schlecht sagen: „Das scheint mir aber ein hoher Aufwand für einen Wasserfall zu sein, von dem ich nicht einmal weiß, ob er auch wirklich schön ist.“ Ich konnte nur das Geld in den Automaten werfen und überlegen, ob ich nicht einen Teil der Zeit in einem Gasthaus verbringen könne.

Mit einer Wasserflasche bewaffnet, ging es auf den Weg. Da kam die erste Abzweigung. War es die, an der ich rechts gehen sollte? Die meisten Leute gingen links. Außerdem war in der Ferne ein Wasserfall zu sehen, den ich schon ganz hübsch fand. Aber offenbar war der nur zehn Minuten entfernt? Warum hatte ich denn den anderen Wasserfall genannt?

Es kam die Phase der Akzeptanz. Vier Stunden? Ist gar nicht so schlimm. Zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück. Das wird man ja wohl überstehen.

Vor mir ging ein älteres Paar. Der Abstand betrug achtzig, neunzig Meter. Ich merkte aber, dass sich der Abstand vergrößerte. Mut machte das nicht. Sie zogen davon wie nichts und das auf glatter Strecke, bei der ich doch im Vorteil sein sollte. Es gab ein Tor, dem folgte eine Brücke über einen reizenden Fluss, dann gab es wieder ein Tor. Dem folgte die erste Pfütze.

Pfützen-Dilemma

Muster-Pfütze

Ich nenne das jetzt mal so, aber eigentlich handelte es sich um eine Unterbrechung des Weges durch ein von oben kommendes Rinnsal, Rinnsal Plus oder Rinnsal Doppelplus. Die flossen über den Weg, womit sich eine Umgehung wie bei einer Pfütze erübrigte. Nette Leute, vermutlich vom National Trust, haben in die Pfützen Steine gelegt, über die man balancieren konnte. Wanderer mit richtiger Ausrüstung konnten da auch einfach durchmarschieren – ich habe das gesehen, das funktioniert -, coole Säue wie ich, die ohne Ausrüstung unterwegs waren, die mussten darüber balancieren und wünschen sich dann einen Wanderstock. Es war das erste Mal in meinen Leben nach dem elften Lebensjahr, wo ich gern einen solchen Stock gehabt hätte. Der schien mir recht hilfreich zu sein.

Crummock Water

Crummock Water

Ich knippste gelegentlich das idyllische Crummock Water, den See, den ich zu der Zeit noch für Buttermere hielt, und holte unaufhaltsam das Pärchen ein. Hinter mir keine Menschenseele, vor uns keine Menschenseele – es kam uns auch keiner entgegen. Es schien so, dass die Ansage in meinem Wasserfall-Führer, es würden nur wenige Menschen dort sein, sich bewahrheiten ließe. Das Pärchen ließ sich gemeinerweise von mir einholen. Das hieß, ich musste den Weg allein finden. Zum Zeitpunkt, an dem ich die beiden überholte, hielt ich das noch nicht für ein Drama.

Dann kam die Stelle, an der der mit Steinen gesäumte Weg endete und in eine nicht enden wollende Grasfläche überging. Wo sollte hier der Weg sein. Ich stapfte geradeaus los.

Ein Wasserfall war hier nicht, also konnte der Weg ja schlechterdings zu Ende sein. Schnell merkte ich, dass dies nicht eine Wiese war, wie ich sie als Flachländer kenne, sondern eine von Rinnsalen geprägte Gründlandschaft. Es lässt sich wiederholen, was ich über die Kategorien der Rinnsäler schon sagte. Sie unterschieden sich nur dadurch, dass sie nun besser versteckt waren.

Die Sorge, dass mir auf dem langen Weg langweilig werden könnte, erwies sich als völlig unbegründet. Hatte man ein Rinnsal, sah man, dass man auf dem richtigen Weg daran, dass irgendwer – vermutlich der National Trust – dort einen Stein reingelegt hatte, damit man besser queren konnte, zumindest bei den Plus und Doppelplus-Varianten. Ich sah dann eine Brücke und hielt mich in die Richtung. Vor der Brücke gab es erst einmal eine Variante, die es in sich hatte: Rinnsal Doppelplus mit Matsch. Mit Steinen drin, aber die in der Mitte irgendwie aufhörten. Der Matsch musste sich ausgebreitet haben oder der National Trust hatte keine Steine mehr. (Ich sah später, dass der Parkplatz voll war – nach dem Wochenende sollte wieder was drin sein.) Aber die Brücke über einen Bach war wirklich schön. An der Stelle hätte ich das Drama beenden können, das für einen Wasserfall erklären können und umkehren sollen.

Allerdings kehre ich niemals um. Dafür müsste sojemand Vernünftiges wie die beste Ehefrau der Welt bei mir sein. War sie aber nicht. Also ging es weiter. Matsch, Matsch Plus und Matsch Doppelplus. Das Paar folgte mir. Er hatte die Karte. Ich ließ den Abstand nicht zu groß werden, um im Falle aller Fälle umdrehen zu können. Die beiden ließen sich aber wirklich Zeit.

Matschvariante 1

Matschvariante 1

Matschvariante 2

Matschvariante 2

Mittlerweile hatte sich eines geändert: Es ging bergauf. Ich schlug mich wirklich tapfer. Schwitzte wie nichts und freute mich daran, dass ich eine Flasche Wasser mitgenommen hatte. Ich freute mich auch schon auf die Kekse, die ich als Wegzerrung aus dem Zimmer mitgenommen hatte. Ich absolvierte alle Hindernisse und stand dann vor einer Farnfläche. Hier sollte ich durch? War das erlaubt? Ich suchte einen Eingang, man will ja nichts kaputt machen. Da war ein kleiner Pfad zu sehen, so klein, dass man annehmen konnte, dass die Massen, die Matsch vorher erzeugt und zertreten hatten, an der Stelle gescheitert waren und wieder umkehrten. Mein norddeutscher Mannskörper verbreiterte die Bresche um einiges und machte es für das Pärchen hinter mir viel einfacher.

Nach anderthalb Stunden, wovon es die Hälfte immer bergauf ging, war ich der Meinung, dass es nicht viel höher gehen sollte. Das sagte ich auch laut vor mich hin. Es war keiner da, der es hören konnte, und so gönnte ich mir den Spaß des Selbstgespräches: „Das reicht nun aber wirklich, jetzt könnte er aber kommen“. Ich erwähnte nicht ausdrücklich, dass es auf dem ganzen Weg kein Schild und damit auch keine Entfernungsangaben gab. Aber der Gott der Wanderer war mit mir und hinter der Kuppe erblickte ich den Wasserfall. Er war noch nicht zu hören, aber ich ließ mich auf einem Stein nieder und genoss den Triumph. Dann ging es weiter und ich hatte diesen Wasserfall ganz für mich allein, bevor das Pärchen kam und sich vordrängelte.

Scale Force - fast allein dort

Scale Force – fast allein dort

Sie wollte ein Foto machen. Machte es. Dann wollte sie ein Video mit ihrem Fotoapparat machen. Das klappte nicht. Längere Konsultationen, bevor sie sich zurückzog und mir nett erklärte, dass sie mal in die Doku schauen müsse. Was nicht so alles in diese Rucksäcke von Wanderern passt… Nachdem sie das geklärt hatte, ging sie wieder nach vorn, drehte ein Hochformat-Video (und ich wollte imemr sagen: „Damit werdet ihr nicht viel Spaß auf Eurem Fernseher haben, es sei denn, ihr habt einen Hochformat-Fernseher!“ Aber das wäre besserwisserisch und so ließ ich es bleiben. Schließlich hatten sie mir indirekt den Weg gewiesen.) Das Pärchen kletterte dann weiter nach oben und ich hatte den Wasserfall für mich ganz allein.

Die waren nach oben gegangen, geisterte es durch meinen Kopf, gibt es da noch einen Wasserfall? Oder vielleicht nur eine schönere Aussicht. Ich stiefelte einen schönen Weg, der treppenartig mit Steinen ausgelegt war hinterher. Ja, der Ausblick war schöner, aber mir fiel ein, dass ich den ganzen Weg nach unten marschieren müsse und meine Zeit ja durch den Parkautomaten samt Wächter begrenzt war.

Der Rückweg war in einiger Hinsicht einfacher. Ich kannte den Weg und von oben sieht man manches klarer. Von unten über Matsch aufwärts zu springen ist potentiell gefährlicher als in die andere Richtung. Es sei denn, die Schwerkraft treibt einen schon weiter in die nächste Pfütze. Mir blieb das erspart. Dann kam die große Wiese. In der verlor ich mich. Ich stapfte herum und habe ungelogen auch ein Skelett gefunden. Es war nur das eines Schafe, aber mir schien es ratsam, irgendwie auf den Weg der Wanderer zurückzufinden.

Mir kamen die ersten Leute entgegen, alle professionell ausgestattet. Gern hätte ich einen von denen, den Wanderstock geklaut. Aber egal welchen Alters, die waren besser in Form als ich. Schien mir keine so gute Idee zu sein. (Liebe beste Ehefrau der Welt, nein – Du musst mir jetzt nicht gleich einen Wanderstock kaufen. Ich komme gewiss drüber hinweg.)

Ich nahm den anderen Wasserfall dann noch mit und kehrte dann mit einer Bestzeit von 3 Stunden und fünfzehn in einen Pub in Buttermere ein. Gönnte mir eine Limonade und ein Lachs-Sandwich (das nur halb so gut war, wie das vom Vortag, aber genauso viel kostete) und fuhr dann den Rest der Runde. Mein morgendlichen Ziel, eventuell bis zur Küste zu fahren, hatte ich da schon aus den Augen verloren. Ich sah nur meine Schuhe an und dachte: Wäre doch toll, wenn heute die Geschäfte in Keswick aufhaben. Dann könnte ich mir neue Schuhe für die Woche kaufen, denn sauber bekomme ich die nicht mehr.

Hippie-Schaf samt antiautoritär erzogenem Nachwuchs

Hippie-Schaf samt antiautoritär erzogenem Nachwuchs

Unterwegs stieß ich auf eine Familie, die aus unterschiedlichsten Ländern der Welt kam. Sie klärten mich über meine Verwechslung der Seen auf und der Mann meinte, nächste Woche würden es dreißig Grad werden. Nicht, dass ich etwas beschreien möchte, ich hoffe, dass er nicht aus Amerika kommt und Fahrenheit meint.

In Keswick sieht man jede Menge Chinesen und/oder Japaner. Die fallen einem auf den Wanderwegen interessanterweise gar nicht auf. Mir ist kein Einziger an den Wasserfällen begegnet oder wenn ich den Weg zum Hotel fuhr, der auch von Wanderstrecken gesäumt ist. Offenbar werden diese nur zu den Orten gefahren und dann mit dem Bus von einem See zum nächsten. Da gibt es vielleicht Point de vues, die ich nicht entdeckt hatte. Sieht so aus, als würden diese armen Leute, überall auf der Welt verarscht. Darüber habe ich mich schon ein paar Mal ausgelassen (Singapur, Kanada). Neben Asiaten sind aber auch eine ganze Menge anderer Leute da und nur wenige davon, wandern wohl wirklich. Der Rest ist nur in Hotels in der Gegend und das wars. Das will ich gar nicht bedauern. Mir sind Städte, in denen ich sowieso kaum bin und die voll sind, viel lieber, als Wasserfälle, die überlaufen sind.

Auf jeden Fall hatten die Geschäfte alle auf und ich habe mir ein paar Schuhe gekauft.