Über ein Monat schon keine Neuigkeiten mehr von der Katzenfront, da wird doch wohl nicht Ruhe eingekehrt sein im Hause Hahn? Nein, weit gefehlt. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst anfangen soll. Eigentlich gibt es nur Happy Ends, aber wenn es solche gibt, muss es auch Krisen gegeben haben. Die Größe von den beiden Krisen war sicher das Verschwinden von Stummel. Am 1. Mai sahen wir im Nachbarhaus verschwinden. Das kam schon früher vor, und bei dem Lärm, den die Nachbarn beim Bauen machen, waren die Katzen nach kurzer Zeit wieder draußen.

Die beiden anderen Katzen trafen pünktlich abends wieder ein, nur Stummel nicht. Das eine Katze schon mal für einen Tag verschwindet, gehört zu unserem Katzenhalter-Alltag. Nicht, dass wir es mögen. Aber ist halt so. Susann fängt schon nach drei Stunden an, sich Gedanken zu machen. Wie es nach 24 Stunden um sie bestellt war, kann man sich leicht vorstellen. Das Tierheim wurde verständigt, Zettel im Dorf, im Nachbardorf und in der näheren Umgebung des Dorfes ausgehängt. Soviele Leute aus dem Dorf hat sie vorher noch nie kennengelernt. Und dann kam sie mit den Wasserstandsmeldungen nach Hause: Er ist dort gesehen worden, dann ist er dort gesehen worden. Dass Kilometer zwischen den verschiedenen Orten lagen, war augenfällig, aber man hat ja so seine Hoffnungen. Nun ist Stummel aber ein großer Schisser, der beim kleinsten Geräusch zusammenzuckt. Es passt nicht, ihn sich an der einen Seite des Dorfes vorzustellen und zwei Tage später an der anderen.

Auch das Haus nebenan wurde mehrfach von Susann und Herrn N., unserem neuem Nachbarn durchsucht. Nun. Nichts. Jede Ecke, jeder Winkel, jede Möglichkeit, sich für eine Katze zu verstecken. Bei dem Lärm, der dort herrschte, wäre er, da waren wir uns einig, nach kurzer Zeit wieder herausgestürmt.

Heute erschien dann Susanns Anzeige in der Zeitung. Es meldeten sich eine Frau, die berichtete, jeden Abend würde ein Kater bei ihr auftauchen, roter Ton, zimtfarben, der sich an dem allgemeinen Katzenfutter gütlich tat und dann im Katzenhaus mit den anderen Katzen schlief (wenn sich jemand fragt, was ein Katzenhaus ist, dem habe ich noch ganz andere Sachen zu berichten). Susann machte einen Termin mit der Dame aus, um den Kater zu begutachten und eventuell in Empfang zu nehmen.

Es sollte leicht anders kommen. Ich saß gerade am PC und rettete ein wenig und auch recht unmotiviert die Welt, da rief mich Susann. Herr N. hätte Geräusche auf dem Boden eines Zimmers und ein leises Miauen gehört. Ich solle, die Tür zumachen. Ich könne aber auch mitkommen hieß es. Kurze Zeit später verfluchte ich mich, den wohligen Platze am PC aufgegeben zu haben. Über eine Leiter war ich auf einen Dachboden gekrochen, bei dem man sich nur über die Balken bewegen konnte und Herr N. zeigte mir die Ecke, zu der man Zugang zu dem Vordach bekommen könne. Es war ein schräges Dach und das Loch befand sich am Ende der Schräge. Die Spinnweben in dem Teil vom Herrn der Ringe, in dem Frodo mit der Mörderspinne zu tun hat, sind Peanuts gegen das, was dort auf dem Dachboden zu sehen war. Ich könne die Mauer an der Seite aufstemmen. Aufstemmen? Mein Begeisterungspegel stieg von Sekunde zu Sekunde. Nun ja, man kann es ja mal probieren. Aber Herr N., ein sehr geschäftiger Mann, war mit dem Leuchter schon weiter gezogen, um die Topographie seiner erst neulich erworbenen Immobilie zu untersuchen und verkündete, auch in den anderen Abschnitten des Dachbodens, getrennt durch Brandschutzmauern, gäbe es nur kleine Löcher, durch die man nicht durchgelangen könnte, wenn man nicht gerade eine Maus oder ihr folgende Katze wäre.

Während ich mich seelisch und moralisch auf die noch nie getätigte Aufgabe vorbereitete, Ziegel aus einer Wand zu kloppen – im Liegen, unter Spinnweben, auf einem Dachboden – und noch mit der Information zu kämpfen hatte, dass der Kater da unter einem Flachdach herumgeistern sollte, wo er doch … naja, er war ja an so vielen Orten, warum nicht unter einem Flachdach, an das man schlecht herankommt, während ich da also gedankenverloren auf dem Boden des Nachbarhauses mit meinem Designer-TShirt stand, kam von unten die Information, dass Herr N. die Decke des Flachdaches von unten aufstemmen würde. Ich fand das einen guten Ansatz und sah kurze Zeit später, dass es eine Tätigkeit war, die er früher oder später sowieso realisieren musste. Nachdem er ein kleines Loch gestemmt hatte, sah er dort hinein und stelle fest, dass es dort nichts zu sehen gab. Aber, so sagte, eine Katze müsse dort sein.

Wir riefen also, aber ein Kater war nicht zu sehen. Vielleicht könne man etwas zum Füttern holen, meinte ich und Susann eilte los, da ich mittlerweile auf der Leiter stand und meinen Kopf in die Öffnung steckte. Hoch war der Zwischenraum nicht. Eine Katze konnte dort stehen und sich bewegen. Das war es dann aber auch. Susann kam gerade zurück, da schauten mich zwei Augen an. Entgeistert würde ich sagen. Susann kam zur Tür rein, ich sagte, er ist hier, blickte hoch, weg war er. So standen wir dort, ich auf der Leiter, Susann auf dem Boden, und schüttelten mit Trockenfutter und riefen seinen Namen. Er kam nicht. Ich sah mich schon die gesamte Decke abtragen, damit die Katze, die ja vielleicht unsere war, keine Fluchtmöglichkeit hatte. Beim Einschätzen des Arbeitsaufwandes und der Reaktion unseres sehr hilfsbereiten Nachbarn wurde mir

schlecht.

Immer noch auf der Leiter stehend, schlug ich vor, dass wir es mit Feuchtfutter und dem Geräusch einer sich öffnenden Dose versuchen sollten. Susann eilte rüber, der Kater war nicht mehr zu sehen, und kam mit einer Dose zurück. Die Dose wurde geöffnet. Der Deckel mehrmals an dem Metall gerieben und siehe da, der Kater saß plötzlich zwei Meter von mir entfernt auf dem Dachboden, und guckte mich an. Während Susann das Futter in eine Schüssel umfüllte und der Kater rummauzte, redete ich ihm gut zu, auf dass er käme und mein Leid beendet und darauf, dass die Tränen meiner Frau getrocknet würden. Aber er machte erst einmal eine Kehrtwende, und ich dachte nur, MIST.

Aber das Futter roch wohl zu verlockend. Und er kam, ließ sich anfassen, nahm einen Happen und mauzte noch mehr rum. Da er nun schon mal da war, nahm ich die Schüssel weg und gab sie nach unten, um den Kater zu greifen. Ein fürchterlicher Kampf mit dem Kater begann, denn der Kater wollte zwar zu uns, aber nicht durch dieses Loch nach unten. Konnte ich verstehen, aber ich verstand auch die Perspektive der Frau, die unten vor der Leiter stand, und rief: »Nun komm schon, Stummel!«

Jetzt sitzt er hier auf der Couch und ist wieder glücklich. Ein wenig abgemagert. Mit zwölf Tagen war das sein längster Ausflug, mehr als doppelt so lang wie sein erster uns bis letzter Woche einziger Ausflug.

Unser Gast hat uns wieder verlassen. Tage, bevor ein einschneidender Eingriff bevorstand. Kinky hatte soviel rumgejault, dass wir die Tür öffneten. Zwei Tage später stand er wieder vor der Türe und erhielt Einlass. Kurze Zeit später fing das Gejaule wieder an und die Tür öffnete sich wieder für den Kater.

Nun hatte er wohl endgültig genug von dem restriktiven Regime im Hause Hahn, und so haben wir ihn seit dem nicht mehr wiedergesehen. Das Rumgeschnipsel an seinen Geschlechtsteilen hat sich somit auch erledigt und wir eine Menge Geld gespart. Meine Idee, das hatte ich ja schon mal zu verstehen gegeben, war es ja auch nicht, eine vierte Katze aufzunehmen.

Restlos unerfreulich ist allerdings die Tatsache, dass er uns in steter Erinnerung ist. Aus welchen Gründen auch immer, hatte er sich entschlossen, die Couch zu bepieseln. Wer glaubt, dass sich ein solcher Geruch verflüchtigt, der täuscht sich. Zumindest, was das flotte Verflüchtigen angeht. Nachdem es nicht mehr zum Aushalten war, haben wir uns hingesetzt und die Couch mit Spee (mit Apfel-Geruch) abgerieben. In mehreren Gängen. Die Wohnung duftete nach Apfel, die Couch nach Katzenurin.

Am nächsten Tag führte mich der Weg in die örtliche Zoohandlung, und dort gab man mir ein Mittel mit, mit dem man solchen Geruch bekämpfen kann. Eine ganz Flasche. Ich dachte mir so, dass es eigentlich viel zu viel sei, so groß war die Katze nun auch nicht gewesen. Freilich ist die Flasche mittlerweile leer, und was geblieben ist, ist die Erinnerung an eine Katze und ihre ganz spezielle Duftnote.

Der nächste Versuch startet in diesen Tagen. Ein Waschstaubsauger wurde besorgt und mit diesem wird, so stelle ich mir das vor, die Couch eingeseift. Die Zeit drängt ein wenig, denn am Wochenende bekommen wir Besuch. So hoffe ich jetzt inständig, dass die Couch nicht nur ihren Geruch verliert (das ist das Allerwichtigste) sondern auch bis dahin trocken ist.

Es wird uns eine Lehre sein, nicht jede dahergelaufene Katze aufzunehmen; insbesondere wenn es sich um einen Kater handelt.

Mit George war ich neulich beim Tierarzt. Ihn in den Katzenkäfig zu bekommen war, ganz und gar erstaunlich, gar nicht schwer. Käfig hingestellt, Leckerli hervorgezaubert und in den Käfig geworfen, Kater sprang hinterher und mit einer geschickten Bewegung war der Käfig geschlossen. Der Kater drehte sich um, ließ Leckerli Leckerli sein und setzte einen Blick auf, der einem das Herz schrumpfen ließ und mir meine abgrundtiefe Niedertracht verdeutlichte. War aber egal, das Tier musste zum Tierarzt, da sein eines Auge ständig tränte und er auch rumschnupfte.

Bei der Tierärztin war er aus der Schockstarre noch nicht erwacht. Wir einigten uns, dass wir ihn im Käfig ließen, denn wir wussten nicht, ob wir ihn wieder hereinbekommen würden. Seine Liebligswürstchen waren im völlig egal und so begutachtete ihn unsere Tierärztin aus der Ferne. Sie fragte noch, ob ich George zur Beruhigung im Käfig streicheln wollte. Darauf hin meinte ich, im Angesicht meiner Erfahrungen, davon würde ich lieber Abstand nehmen.

Zurück im vertrauten Heim flitzte er aus dem geöffneten Käfig und ward erst einmal nicht mehr gesehen. Seine Unbill über die erlittene Schmach war ihm noch einige Stunden lang anzumerken.

Er hat Tabletten verschrieben bekommen, deren Eingabe aber erfreulich unkompliziert verläuft. Mir war noch gut die Geschichte mit Nala in Erinnerung, deren Tabletteneinnahme schon mal eine Stunde dauern konnte, wobei man schlussendlich einen Tablettenbrei verabreichte. Bei George stopfe ich die Tablette in ein Teil des Würstchen und werfe ihm das vor. Einmal hat er die Tablette sogar gänzlich ohne Leckerli genommen.

Nun war er auch schon die ersten Male draußen. Beim ersten Mal ging das Reinholen verhältnismäßig glatt (ich weiß nicht, ob ich das schon geschildert hatte…). Kater stand, durch Leckerli angelockt, vor der Tür und bekam, nachdem er mit 50% seines Körpers in der Wohnung war, einen Klapps auf das Hinterteil, womit er komplett in der Wohnung war. Und empört.

Beim zweiten Mal klappte der Trick nicht mehr. (So bin ich auch skeptisch, ob ich ihn mit der oben erwähnten Taktik auch nochmal in den Käfig bekomme.) Ich ließ die Balkontür auf und er kam dann Nachts irgendwann zurück.

Die letzten beiden Male kam er nur aus eigenem Antrieb wieder zurück, wahrscheinlich um ein wenig Futter einzunehmen oder die Katzentoilette zu benutzen.

Was Körperkontakt angeht, ist er immer noch sehr skeptisch. Aber hin und wieder kommt er an, und lässt sich eine Streicheleinheit verpassen. Da muss noch nicht einmal Futter im Spiel sein. Stehen wir so rum oder gehen gerade durch die Wohnung, macht er einen Bogen um uns, auch wenn die Bogen immer kleiner werden.

Katze 4 und 5 sind jetzt inoffiziell Fiene und Felix, die beiden Katzen unserer Vermieter. Da wir im Erdgeschoss wohnen, sind sie natürlich um unsere Wohnung herum zu sehen. Die Katze stand gestern sogar mehrmals in unserer Wohnung, wahrscheinlich um mal zu kontrollieren, wie denn die Wohnung so aufgebaut ist. Da sie allerdings nicht so gut mit unserer Luna kann (und umgekehrt), gab es ein wenig Stress. Luna ist eine eifrige Revierverteidigerin. Felix kam gestern quer über die Wiese stolziert, an seiner Seite Fiene und hatte eine Maus im Maul. Was für ein Unglück für die Maus, dachte ich bei mir. Aber so ist das Leben nun mal, auch für Mäuse. Er legte sie in der Nähe des Balkons ab und spielte mit ihr. Also nicht tot! Da bin ich mal in seine Richtung, habe in Hände geklatscht, worauf er die Maus kurz vergaß und einen kleinen Rückzieher machte. Aber so ganz wollte er sie nicht ziehen lassen, die Maus. Er scharwenzelte immer wieder um die Stelle herum, an der er die Maus hatte fallen lassen. Die war mittlerweile in Richtung eines Beetes verschwunden und zusätzlicher Ungemacht kündigte sich für den Kater an: Luna erschien auf dem Spielfeld. Hatte ich schon erwähnt, dass der Revieranspruch, den Luna hat, nicht gerade klein ist. Für die Maus war es ein guter Tag.