Ich werde mich schwer hüten, den Stab über Günter Grass zu brechen. Natürlich ist es ein wenig spät, natürlich hätte er es früher an die Öffentlichkeit bringen können. Er empfindet es als Makel und schämt sich – hey!, das ist schon eine Menge wert. Bei der ganzen Diskussion regen mich aber zwei Grüppchen der Kommentierenden besonders auf. Die »Berufslügner« und die »Unerfahrenen«.

Fangen wir mit der ersten Gruppe an: Ich muss kein Mörder sein, um über einen Mörder zu richten. Unser Rechtswesen würde zusammenbrechen und vermutlich nicht sehr gerecht ausfallen, wenn wir dies als Voraussetzung einführten. Allerdings gehen Richter daher und versuchen sich in den Täter hineinzuversetzen. Das mag nicht immer gelingen, aber ich glaube, sie versuchen den Täter zu verstehen. Unsere »Unerfahrenen« tun das nicht. Sie sind jung und erfolgreich, sind stetig bemüht, mit einem Statement in der Zeitung zu stehen und wenn man auf jemandem wie Grass einschlägt, dann gelingt das höchstwahrscheinlich. Je drastischer die Wortwahl ist, je höher die Forderungen, desto größer ist schließlich die Wahrscheinlichkeit in die Zeitung zu kommen. Erfahrungen können die »Unerfahrenen« nur mit der Demokratie aufweisen. Das andere kennen sie als »Nazi-Zeit« und »Unrechtsstaat«. Die »Unerfahrenen« bemühen sich nicht einmal, sich in die Zeit hineinzuversetzen, um zu verstehen, was die Menschen zu dieser oder jenen Handlungsweise bewegte und bewegt. Eine gehörige Portion Ignoranz ist bei diesen »Unerfahrenen« zu beobachten.

Damit wären wir bei der zweiten Gruppe: die »Berufslügner«. Ich meine Politiker. Wenn sich gewählte Abgeordnete hinstellen, und verlangen, Günter Grass möge sein Nobelpreis und andere Ehrungen zurückgeben, dann fällt mir nur ein: Der hat doch wohl einen an der Klatsche! Die Begründung dafür mutet recht amüsant an: Er habe die Wahrheit verschwiegen.

Holla! Hat er nicht, wie wir mittlerweile wissen: Er hat es gegenüber den Amerikanern zugegeben, er hat es einem Buch geschildert (das wir noch nicht kennen) und er hat es in einem Interview – freiwillig! – erzählt. Bevor das einer aus der Gruppe der »Berufslügner« macht, versteckt der sich doch lieber hinter einem Ehrenwort oder legt sich in irgendeine Genfer Badewanne. Wer käme schon auf die Idee, nach einem versprochenen Wahlversprechen, einfach seine Mandate abzugeben, weil man schließlich gelogen hätte. Nein, das tut kein Politiker. Denn das Lügen und das Verstecken der wahren Umstände gehört zum politischen Geschäft (ich weiß, dass es ein böses Faul ist. aber: Wie war das mit der Mehrwertsteuer?). Schlimmer noch: Ist man ersteinmal an der Macht, versucht man diese zu halten und macht alles noch viel, viel

besser

schlimmer.

Es gibt Menschen, die sich wahrhaftig zu dem Thema äußern können. Die auch einen guten Grund haben. Die von Günter Grass enttäuscht sind. Aber die meisten der Wortmeldungen zum Thema Günter Grass hätten lieber unterbleiben sollen.

[Nachtrag: Von heller Aufregung kann ich auch nichts mehr hören, wie ich es immer den Nachrichten entnehme. Die Leute erregen hierzulande erregen sich vielmehr über die Benzinpreise… Man sollte immer auf seine Wortwahl achten, wenn man die Situation im Lande beschreibt. In den Redaktionen mag es ganz anders aussehen. Die sind über dieses Sommer-Thema vermutlich mehr als glücklich.]