Bisher trieb ich mich hauptsächlich im Gebiet der Anzeigen herum. Redaktion, wie jetzt hier in den USA, interessierte mich nur periphär oder gar nicht. Das hat sich natürlich geändert und was habe ich hier nicht alles gelernt? Denn was ich einmal gesehen oder gehört habe, habe ich noch lange nicht verinnerlicht. Dazu muss ich es selbst machen. Dazu hatte ich hier reichlich Gelegenheit.

Gestern abend, 21 Uhr hiesiger Zeit, war für mich die Welt noch in Ordnung. Eine halbe Stunde später sah es ganz anders aus. Dianne kam herein und meinte, seit 9 Uhr können keine Seiten mehr ausgegeben werden. Das heißt: Die Seiten waren produziert, aber sie kamen nicht bei demjenigen an, der die vollständigen Daten überprüft und an die Druckerei übergibt (wo sie dann auf Platten belichtet werden und den Druckern zur Verfügung gestellt werden, um es vereinfacht auszudrücken). 21.30 Uhr ist eine ganz, ganz schlechte Zeit für solche Späße. Eine Zeitung muss ja nicht nur gedruckt werden, sie muss auch verteilt werden und wenn gesagt wird, Redaktionsschluss ist um dreiundzwanzig Uhr, dann kann um Mitternacht gedruckt werden und um zwei Uhr die Auslieferung beginnen (als Beispiel gebracht). Verzögert sich die Kette, dann wird nicht um Mitternacht gedruckt, was den ein, zwei, drei Druckern noch egal ist – aber in der Auslieferungskette stehen viel mehr Leute herum. Zeitungen werden nicht nur zum Händler gebracht, sie werden auch per Post verschickt.

Fazit: Funktioniert die Ausgabeschiene nicht, hat man ganz schlechte Karten.

Kennt man die Ausgabeschiene nicht, hat man noch schlechtere Karten. Aber es gibt ja einen 24-Stunden-Support von meiner Firma, wo Leute sitzen, die sich damit auskennen. Halb zehn Uhr abends, eine gute Zeit um noch ein Bierchen zu trinken und dann langsam daran zu denken, ins Bett zu gehen, wenn man nicht gerade noch die Late-Night-Show sehen möchte oder gerade bei einer Zeitung arbeitet, heißt in Deutschland aber halb vier Uhr morgens. Vermutlich eine Zeit, in der man gerade damit beschäftigt ist von einer Tiefschlaf-Phase in die nächste zu wechseln und am allerwenigsten einen Anruf aus den USA erwünscht.

Aber es half nichts, es musste sein. Die Maschinerie lief an und kurze Zeit später waren mindestens fünf Leute in Deutschland damit beschäftigt, die Ursache für das Problem zu finden oder Leute zu organisieren, die sich mit diesem Problem auskennen.

Während ich mit den Kollegen daheim telefonierte und wir Lösungen diskutierten, wo wir nicht einmal die Ursache kannten, kümmerten sich die Leute hier neben mir, um Notpläne, wie die Zeitungen noch erscheinen konnte. Wenn ich Zeitungen sage, dann meine ich auch Zeitungen. Denn der Prozess für die Ausgabe stand nicht nur bei einer Zeitung still, er legte mehrere Zeitungen lahm.

Das ist haargenau das, was ich brauchte: Ein heißes Problem, mit dem ich mich nicht auskannte. Es wurde recht spät, was ich ja mittlerweile gewohnt bin, und aber nach einer halben Ewigkeit (so kam es mir vor) lief die Ausgabe wieder. Dann hatten wir nur noch die üblichen Probleme: Bilder, die im falschen Format angeliefert wurden, und Anzeigen, die nicht vorhanden waren. Vor drei Wochen wäre das die Katastrophe für mich gewesen, mittlerweile läuft das unter Lappalie. Klar, wenn man es mit dem Ausfall zuvor vergleicht.

Was man in dem Augenblick überhaupt nicht gebrauchen kann, sind Kollegen oder Kunden, die hektisch umherrennen und alle Leute wild machen. Durch hektische Aktionen und lautes Herumschreien wird nichts besser, so zumindest meine Erfahrung. Gestern lief es ohne großes Trara ab, den Stress haben jetzt ganz andere…

Anderes Thema: Ich finde, hier sind die Leute wirklich sehr zuvorkommend. Zwei Beispiele: Ich komme an die Kasse eines Supermarktes und eine Frau, die wirklich nicht viel in ihrem Einkaufswagen hatte, hatte schon einiges aufs Band gelegt und der Kassierer hatte schon angefangen, das erste gute Stück ihrer Beute über die Scanner zu jagen. Da sah sie mich und meinte zum Kassierer, er solle noch mal stoppen, ich hätte ja nur das Gebinde Wasser und das würde auch schneller gehen. Also stornierte der Kassierer, ich kam noch schneller dran und ich bedankte mich dafür artig mehrmals.

Arnd hat hier Teile seiner Sachen vergessen, was ihm gestern auffiel und er rief im Hotel an, damit diese aus seinem Zimmer errettet werden. Das war nun ja auch schon drei Tage her, aber sie lagen immer noch in der Schublade (also wurde das Zimmer wohl nicht bewohnt – ein messerscharfer Schluss, nicht wahr?). Die Sachen wurden an der Rezeption verwahrt und ich konnte sie von dort abholen. Gestern, als ich so durch die Stadt (Mt. Clemens) fuhr, fiel mir ein Laden auf, der Packaging Express hieß, leider aber schon zu hatte. Da mein Schuhkarton zu klein war, dachte ich mir, dort müsste man gut einen Karton bekommen. Ich heute also hin, die Sachen mit dabei, und meinte, ich bräuchte einen Karton für den Krams. Der Mitarbeiter im Office suchte einen passenden Karton und fand schließlich einen, bei dem nicht zuviel Leerraum entstehen würde. Er füllte den Rest mit Papier auf und verklebte das ganze säuberlich mit Tape. Nur verschicken wollte er den Karton und gab mir mit auf dem Weg, dass ich ihn am Besten bei der Post aufgeben sollte, weil das das Günstigste sei. Der Karton kostete mich etwas über 1,50 Dollar. Nicht gerade die Welt. Für den Service wollte er gar nichts haben, Trinkgeld nahm er nicht an. Dafür wurde ich gefragt, ob ich aus Deutschland sei. Ja, sei ich, meinte ich. Wo ich denn her käme, ich erzählte es ihm. Dafür bekam ich dann erzählt, dass er vor einiger Zeit in Deutschland gewesen sei, in Wiesbaden bei seinem Sohn, der dort lebt.

Zurückkommend auf die stressige Situation gestern: Mike meinte nach der Aktion, dass es wieder kein kühles Bier an diesem Abend geben würde. Nach zwei Uhr, wir erinnern uns, gibt es keinen Bierverkauf mehr in Michigan. Ich konnte dem nur zustimmen und erzählte ihm, dass es in Deutschland Druckereien gäbe, in denen man noch Bier am Automaten kaufen könne. Es sind nicht mehr viele, aber das gibt es noch. Daraufhin meinte er nur: Deutschland sei ihm wieder ein Stück sympathischer geworden.