Gernot hatte immer ein Fahrrad, dass schneller war als meines. Ich fuhr gern auf seinem Fahrrad, dann benutzte er meine Klapperkiste. Seines war natürlich nicht viel besser, aber es sah halt anders aus … anders aus als meines. Ich hätte mir schon meine Gedanken machen können, schließlich war er auf meinem Fahrrad auch schneller als ich auf seinem. Mir blieb nur eine Lösung: Putzi.

Putzi, unser genialer Polizei-Köter – verzogen von mir, wird behauptet; verzogen von uns, sage ich – hatte die Marotte, ein Fahrrad ziehen zu wollen. Also angeleint und »Fass« sagen und wir waren Gernot auf den Fersen. Nicht, dass er jemals bedroht gewesen wäre, denn zum einen war er schon ziemlich schnell und zum anderen hatten wir ja unsere Bremsen. Damit konnte der Hund ein wenig unter Kontrolle gebracht werden. Wir mussten aber nicht soviel treten und hätte Putzi nicht an der Leine gelegen, Gernot hätte nichts zu lachen gehabt.

Wir sind damals viel Fahrrad gefahren. Damals, das war zwischen 1980 bis 1985 – kaum waren wir im Garten angekommen, haben wir geschaut, was denn die Kameraden in der Umgebung so trieben. Hauptsächlich natürlich Gernot. Schon damals hatte ich einen Hang zur Effektivität. Man fuhr zuerst an der Seite vorbei und wenn ich sah, dass die Fensterläden noch geschlossen waren, lohnte ein Weiterfahren nicht. Waren die offen, standen meine Schwester und ich bei Gernot auf der Matte und kurze Zeit später saßen wir auf den Fahrrädern und dann ging’s ab zum Schlänitzsee oder zum Bauern.

Zum See konnte man durch die Bungalow-Siedlung fahren, verschlungene Wege, die man in allen möglichen Variationen nehmen konnte. Was haben wir getüfftelt, um den schnellsten Weg zu ermitteln. Wir konnte aber auch am Kanal entlangfahren. Dort konnte man sehr gut fahren, es waren Sandwege, die gut befestigt waren.

Vom Ortsteil Schlänitzsee aus konnte man in Richtung Grube fahren. Den Weg bin ich in den letzten Jahren auch hin und wieder gefahren. Mit dem Auto sind es keine fünf Minuten. Früher war das für uns eine Weltreise. Nach Grube sind wir gefahren, weil es da auch einen See gab und es gab einen Bauern. Dort konnte man in den Stall und die Pferde füttern und sich mit den Jagdhunden beschäftigen. Letztere hatten sich schnell an uns gewöhnt, erstere waren froh, von uns ein wenig Hafer zu bekommen. Aber interessant war der Weg nach Grube.

Zwei Kilometer wovon der erste Weg purer Sand war. Autos fuhren da nicht viele entlang, Traktoren ziemlich selten. Fahrräder vermutlich noch weniger. Aber wir. Es war, wie in der Wüste fahren. Man kam kaum vorwärts und lobte sich jede übergebliebene Pfütze, da man auf dem feuchten Sand recht gut fahren konnte. Hatte man es zum Wald geschafft, ging es zügiger. Aber der Wald war dunkel, düster und geheimnisvoll – man wollte ihn nicht allein durchqueren. Ich glaube auch nicht, dass wir das allzu häufig getan haben.

Dann kam so etwas ähnliches wie Straße. Ein Betonstreifen auf der rechten Seite für die rechten Räder und ein Betonstreifen auf der linken Seite für die … genau, linken Räder – von Autos. Aber der Teil der Strecke war natürlich gut zu fahren. Sandboden, wie er sonst dort gewesen wäre, wäre auch brutal gewesen. Es ging nämlich auch bergauf – hügelauf, wäre wohl besser gesagt.

Im Dorf gab es dann Kopfsteinpflaster.

Mittlerweile fahren dort wohl eine Reihe von Autos und das ganze ist nicht mehr so dramatisch. Der erste Weg, den wir damals in Richtung Grube fahren mussten, ist mit Schotter belegt und heute sicher auch ganz gut zu fahren. Wenn man stürzen sollte, ist das sicher nicht mehr ganz so lustig. Aber warum sollte man auf solch einer gut ausgebauten Piste auch stürzen wollen? Der Rest ist wie gehabt. Ich muss aber einschränkend zugeben, dass ich den Weg heutzutage nur aus der Perspektive eines Autofahrers erlebt habe.

Dass Gernot schneller beim Radfahren war, sollte uns bald auch nicht mehr wundern – er kam in eine Radsport-Gruppe, ging auf die Sportschule für Radsport und wurde sowas wie DDR-Vizemeister in seiner Alltagsgruppe in was für einer Radsport-Diszipliln auch immer. Am Rad lag es also wirklich nicht.