Der 30. August 1990 war ein August. Ein völlig unspektakulärer Tag, wenn man ihn weltgeschichtlich betrachtet, abgesehen davon das sich an diesem Tag die autonome Republik Tatarstan zu einer souveränen Republik erklärte, aber wer hat schon von dieser Republik gehört? An diesem Tag stieg ich in den Zug und fuhr mit meiner Mutter nach Kiel. Meine Mutter, um sich das mal so anzuschauen. Ich, um zu bleiben.

Der Tag wäre wahrscheinlich wie andere prägende Jahrestage dieses Jahres völlige untergegangen – zu nennen wäre da der 18. März und der 1. Juli – die ersten freien Wahlen in der DDR und die Währungsumstellung. Ach ja – hatte ich schon erwähnt, dass das damals wirklich eine spannende Zeit war? Was haben sich dann die Westdeutschen gefreut, als sie am 3. Oktober uns dazubekommen haben und die Ostdeutschen ihnen auch noch ein Weilchen Helmut Kohl bescherten? Mein Reden war immer: Ich war’s nicht und ich war vor dem 3. hier.

Meine Mutter wollte unbedingt sehen, wo ich anfing zu arbeiten und so zuckelten wir, nachdem ich ein Konto in Kiel eröffnet habe, noch zur Firma und mein zukünftiger Chef kam raus und begrüßte meine Mutter, die ihn ganz reizend fand und noch Jahre von ihm schwärmte, zeigte uns das Büro. Ich war noch keine zwanzig und mir war das fürchterlich peinlich, denn eigentlich wollte ich nur wissen, was man zur Arbeit mitbringen sollte (Ganz ehrlich: In der Liste der peinlichen Momente meines Lebens, sagen wir mal der Top 10, liegt dieses Erlebnis noch immer auf einem der vorderen Plätze – die anderen verrate ich nicht). Mag sein, dass dies auch nur ein Vorwand war. Die Antwort war: Nix, wir haben hier alles. Hätte ich mir auch denken können. Ich glaube, meine Mutter fuhr am gleichen Abend noch ab und ich habe das Wochenende damit verbracht, mir Wohnungen anzugucken, die aber alle außerhalb von Kiel lagen und damit für mich völlig unerreichbar waren, denn ein Auto war Bedingung. So dringend war es nicht, denn die ersten Wochen konnte ich im Hotel übernachten und die Firma hat’s bezahlt. Das war toll, zumal ich Hotels ja wirklich aufregend fand. (Heute arbeite ich übrigens drei Häuser neben dem Hotel, in dem ich damals lebte. Vielleicht hätte ich anlässlich des Jubiläums mal eine Nacht dort buchen sollen…)

Heute war also ein Paket in der Post, von einem Weinshop in Essen. Tja, ich hatte nichts bestellt. Ich meinte zu Susann: »Ich habe nichts bestellt. Vielleicht eine Paketbombe.« Sie ging gleich in Deckung. Aber dann siegte die Neugierde über die Angst und sie stellte sich neben mich: »Dann gehen wir beide zugrunde.« Romantische Augenblicke in Mühbrook! Ich öffnete das Paket und obenauf lag eine Karte, womit das Rätsel wohl gelöst werden könnte. Ich schaute hinein und siehe da, die Geschäftsleitung meiner Firma beglückwünschte mich zum zwanzigjährigen Firmenjubiläum.

Damit hätten wir dieser Tage dreierlei:
20 Jahre in Kiel (und Umgebung)
20 Jahre Giro-Konto bei der Kieler Volksbank
20jähriges Firmenjubiläum

Wäre vielleicht untergegangen, wenn ich nicht das Wein-Paket bekommen habe; und da sage mal einer, Alkohol würde das Vergessen fördern…