Es tut gut, hin und wieder mal auf den Boden der Tatsachen geholt zu werden. Eine unbestreitbare Tatsache ist: Mir geht es gut!

Es ließe sich trefflich darüber jammern, dass ich diese Woche hässliche Rückenschmerzen gehabt habe. Aber bei klarem Verstand seiend, kann ich feststellen, dass ich -a- die Möglichkeit hatte, zum Arzt zu gehen; -b- dieser mich behandelt hat; -c- mir Medikamente verschrieben worden sind, die ich mir leisten konnten; -d- diese sogar den Schmerz linderten; -e- ich einen Krankengymnasten aufsuchen konnte, der sich daran machte, meine verkorkste Muskelatur zu lockern und -f- ich eine Krankschreibung bekam, ohne gleich Arbeit und Geld zu verlieren.

Wir nehmen das, glaube ich, viel zu sehr als selbstverständlich hin. Aber das ist es nicht. Jeder einzelne, der obengenannten Punkte, ist eine Errungenschaft. Nichts wofür ich einem Gott danken müsste, nebenbei, sondern eine Errungenschaft unserer Gesellschaft. Aber wir sollten immer mal wieder innehalten und uns klar machen, dass es uns hierzulande nicht so schlecht, wenn nicht sogar gut oder sehr gut geht.

Der eine oder andere mag jetzt einwenden, dass auch hierzuladen nicht alles Gold ist was glänzt. Ohne Zweifel gibt es viel zu viel prekäre Lebensumstände auch hierzulande. Es ist eine Schande, dass Menschen ohne Strom leben, nach jahrzehntelanger Arbeit gezwungen sind zum Staat zu gehen, um die Rente aufzustocken und zu den Tafeln, um sich Lebensmittel zu besorgen, und und und – das gibt es alles und reicht uns nicht zur Ehre. Ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass wir hierzulande nicht besser werden können und müssen. Ganz im Gegenteil.

Wer die Armut nun aus unseren Landen kennt, von ihr gelesen hat oder sie gesehen hat, wird sich trotzdem umschauen, wenn er mit der Armut in anderen Ländern konfrontiert wird. Da mag man noch so viel von im Fernsehen oder im Film gesehen haben, wenn man mit ihr leibhaftig konfrontiert wird, sieht es ganz anders aus. Man ist wahrhaftig sprach- und fassungslos.

Hier komme ich zu dem eigentlichen Punkt: Seit ein paar Tagen wird auf eine Web-Video-Reihe aus Norwegen verwiesen, in der drei junge Blogger nach Kambodscha geschickt werden. Der Unterton, den man bei der Berichterstattung über die beiden Mädel und den Jungen vernimmt ist der, dass diese in ihren Vorstellungen über die Armut, die dort herrscht, völlig naiv wären. Ich habe mir die sehenswerte Dokumentation angeschaut (norwegisch mit englischen Untertiteln), bevor die Welle durch das Netz schwappte, und fand die drei durchaus sympathisch und ihre Reaktionen (unbeschwert aus dem Flughafen kommend, ernüchertert bei der Betrachtung und Übernachtung bei einer Näherin, erschüttert bei der Arbeit) jederzeit nachvollziehbar.

Was ich im damaligen Leningrad sah, hat mir als DDR-Bürger schon zu denken und das Gefühl gegeben, wir hätten so eine Art Luxus-Sozialismus. Danach war ganz lange Zeit “heile Welt”, da wo ich hinfuhr, da ging es den Leuten auch gut. Aber als ich die Elendsviertel in Kapstadt gesehen habe (Kilometer um Kilometer ärmliche Hütten) und einen Abend in einem derartigen Township  (betreut) verbrachte, sah ich ein ganz anderes, unterirdisches Niveau an Armut. Ich hatte mir nicht vorstellen können, wie die Menschen leben: Ohne Elektrizität und Licht, beengte, gekocht wurde an einer Feuerstelle. Das Selbe vor ein paar Jahren in Vietnam, als wir im Mekong-Delta unterwegs waren und später auch in den Bergen in Nord-Vietnam. Die Menschen waren wirklich arm. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was man weiß (als rational denkenden Mensch, weiß ich, dass es Menschen gibt, die in Armut leben), und zu sehen, fühlen und zu erleben, was diese Armut bedeutet (darauf war ich nicht gefasst und das wird sich nicht ändern).

Mir geht es so, dass ich jedes Mal mit Gefühlen der Ernüchterung und Erschütterung zu kämpfen habe. Ich glaube, wen solch Gefühle nicht überkommen, so er aus mittel- oder nordeuropäischen Verhältnissen stammt, der muss schon ziemlich abgebrüht sein. Dabei habe ich, da bin ich mir sicher, noch die Light-Varianten gesehen – da waren keine Seuchen, da war kein Krieg. Und ich konnte da wieder weg.

Insofern verstehe ich die Entwicklung, die die Blogger aus Norwegen in Kambodscha durchgemacht haben.