Nein, es ist nicht so, dass ich zur Zeit an einem Anfall von Vergangenheitsbewältigung leide, aber Erinnerungen kommen, wenn einem die entsprechenden Stücke in die Hand fallen. Warum ich allerdings diesen alten Wecker bei den Kassetten aufbewahrt habe, bleibt wohl Geheimnis meines Ordnungssinns.

Gekauft habe ich ihn 1986 im damaligen Leningrad, heute St. Petersburg. Es war mein einziger Aufenthalt in Russland, und wir hatten damals eine Klassenfahrt dorthin gemacht. Wir durften die obligatorischen Touristenpunkte besuchen und lernten ein wenig von der Stadt jenseits der Touristenmeilen kennen. Nehmen wir die Sehenswürdigkeiten weg, war ich nur von wenigen Punkten beeindruckt. In den Schallplattenläden (ja, CDs gab’s da nicht!) war das Angebot überraschend westlich. In meinem Gepäck wanderten Dire Straits, Whitney Houston und *schäm-modus an* Modern Talking *schäm-modus aus* mit nach Potsdam. Das Erstaunliche: Es war keine Bückware, man konnte soviele davon kaufen. Wahrscheinlich konnten die Russen mit den Interpreten nicht soviel anfangen, und zumindest bei Modern Talking haben sie durch den Nicht-Kauf erheblich mehr Geschmack bewiesen als ich.

Wenn ich den Höhepunkt »Krim-Sekt« weglasse, bleibt da noch der Wecker, der mir viele Jahre treue Dienste leisten sollte. Es gab ihn in diesem verschossenen Hellblau. War aber immer noch besser als der Braun-Ton, mit dem die Klassenkameraden ankamen. Ich weiß nicht, wieviele diesen russischen Wecker gekauft hatten, aber es waren eine ganze Reihe. Ein zähes Stück russischer Elektronik. Mir viel er mit vorliebe runter, der Wecker machte das alles mit. Irgendwann anfang der neunziger sprang die Batteriefachklappe ab, kein Problem für meinen russischen Wecker. Er lief weiter, man musste halt nur aufpassen, dass die Batterie nicht mehr herausfiel.

Er hatte sogar im Westen noch eine Reihe von Dienstreisen mitgemacht. Aber irgendwann macht auch das beste Stück sozialistischer Wertarbeit schlapp. Hier war es nicht die Gesamtfunktionalität, wie man es erwarten konnte, sondern das Display zeigt nicht mehr alle Bestandteile an.

Er wurde um 1998 eingemottet und jetzt habe ich ihn nochmal mit einer Batterie versehen. Jede Stunde kommt ein vertraut Pieps-Ton und auch das Wecken funktioniert noch klaglos. Es ist ein grausamer Ton, der zum Aufstehen motiviert. Ich weiß, dass ich den Wecker mit auf meinen Train-Rucksack-Urlaub durch Frankreich genommen hatte. Mitten in der Nacht, sprich um fünf Uhr, fing mein kleiner blauer Wecker an, die Passagiere auf der Strecke von Amsterdamm nach Paris mit seinem wenig bezaubernden Pieps-Ton auf Trab zu bringen. Ich dachte ja zuerst: »Was für ein Idiot lässt denn hier seinen Wecker klingeln?«, bis mir aufging, dass ich es selber war. Electronika 2 war allerdings nur halb so penetrant wie seine heutigen Kollegen. Wurde er nicht ausgeschaltet, so ließ er es irgendwann einfach sein. Oder hatte ich mich dann aufgerafft und den Wecker verschämt ausgeschaltet? Weiß ich nicht, aber die Stimmung in dem Waggon, in dem die Leute auf den Gängen lagen, war nicht zum Hurra-Schreien. Eine Schlummer-Taste kannte er auch nicht, wenn der Ton ertönte, so wollte man aufstehen. Ganz einfach.

Die Kassetten mochten im Hausmüll gelandet sein, mein Wecker bleibt bei mir. Wenn auch nur als Museumsstück.