Manchmal wünsche ich mir, ich würde meine gottgegebene Faulheit überwinden, und wäre heute mit zum Muttertags-Kuchenessen zu Schwiegermutter gefahren. Da hätte ich die Gelegenheit gehabt, Brandneues zu erfahren. Andererseits, wenn ich dabei bin, werden selten solche bahnbrechenden Neuigkeiten überbracht, wie sie heute am Tisch kursierten: »Lidl gehört zu Scientology.« Wenn ich so etwas höre, dann spitze ich die Ohren und denke mir: »Ach was! Kann doch gar nicht sein.«

Nein, ich habe keine Beweise dafür oder dagegen. Mir ist auch klar, dass Lidl ein miserabler Arbeitgeber ist – aber das ist bei anderen Einzelhandelsunternehmen genauso. Schuld, wenn man von Schuld reden kann, hat natürlich nur der böse Kapitalist. Der Konsument, der zu dem Erfolg beigetragen hat, und der geradezu danach schreit, noch günstigere Preise geboten zu bekommen, der ist schuldlos. Er kauft ja nur ein.

Aber mir geht gehörig auf den Senkel, dass solche Sachen einfach nachgequatscht werden. Keiner scheint sich Gedanken zu machen, was man damit erzeugt. Letztlich ist es nichts anderes als: »Ich glaube, Herr M. ist ein Kinderschänder. Der hat so geguckt!«, woran vielleicht wahr ist, dass der kurzsichtige Herr M. wirklich einem Jungen nachgeschaut hat, weil er vielleicht glaubte, es sei sein Neffe, Sohn oder was weiß ich. Aber innerhalb kürzester Zeit hat sich in der »Stiller Post«-Manier herumgesprochen, Herr M. sei ein Kinderschänder, esse junge Hunde und scheue auch nicht davor zurück, seinen Müll nicht zu trennen.

Ich habe mal geschaut und mir eine gute Stunde Zeit genommen: Im Internet gibt es keinen Beleg, dass Lidl irgend etwas mit Scientology zu tun hat. Es gibt nur: »Ich habe gehört…« und »Es gibt das Gerücht…«. Mancher mag einwenden, dass die Presse darüber nicht berichten wird, da die von den Anzeigen abhängig ist. Der Argumentation könnte man folgen, wie der Fall der BNN-Redakteurin (Nachtrag: Der hier stehende Link auf http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/08.10.2005/2103331.asp ist nicht verfügbar. – April 2016) gezeigt hatte, die kritisch über die Arbeitsverhältnisse berichtet hatte. Aber seien wir ehrlich und ein Blick in die Zeitungen und Zeitschriften der Republik wird es deutlich machen: Nicht jeder hat diese Anzeigen in seinem Blättchen, FOCUS und SPIEGEL schon gar nicht. Gäbe es was, es würde berichtet werden. Wenn nicht gedruckt, dann im Internet. Letztlich kommt alles raus.

Dass der Chinese, der früher in Kiel an der Hörn mit seinem Restaurant-Schiff lag, Hundefleisch statt Rindfleisch verkocht hat, wurde auch nie bestätigt. Ist aber fester Bestandteil in der Märchenwelt der Familie meiner Angetrauten.