Chaotisch, freundlich, funktionierend – so in etwa hatte ich den Verkehr hier beschrieben. Das stimmt die meiste Zeit auch. Da aber viel nach Gefühl und nicht nach Regeln gefahren wird, haut das manchmal nicht hin. Das wundert einen nicht, wenn man schon Elfjährige auf einem Motorroller fahren sieht und Mr. Munny sagt, dass viele Leute das Fahren von Verwandten lernen und sich dann einen Führerschein kaufen.

Wir sehen aus europäischen Blickwinkel recht viele Polizeikontrollen und wer bei diesen ohne Helm angetroffen wird, der muss eine Strafe zahlen. Meine Beobachtung ist, dass statt eines Helms oft nur ein Hütchen oder Basecap getragen wird. Bemerkenswert viele tragen zwar einen Helm als Fahrer, allerdings ist man sehr oft mit zwei, drei oder vier Leuten auf einem Zweirad unterwegs – zwei Erwachsene, zwei Kinder (heutiger Rekord: eine Erwachsene, vier Kinder auf einem Moped). Von den Beifahrern trägt in nahezu 100% keiner einen Helm. Schon gar nicht die Kinder, die häufig als Dritt- und Viertfahrer mit unterwegs sind.

Für das letzte Jahr habe ich keine Zahlen gefunden, aber für 2013 wurden über 900 Verkehrstote gemeldet. Das sind etwa drei am Tag. Klingt im Vergleich zu Deutschland gar so dramatisch, denn in a
Deutschland sind es neun Verkehrstote gewesen. Allerdings hat Kambodscha gerade mal 14 Millionen Einwohner, während wir mit etwa 80 Millionen potentiellen Verkehrsteilnehmern rechnen müssen. Würde man es hochrechnen auf die Einwohnerzahl von Deutschland käme man auf 14 Verkehrstote pro Tag.

Warum mich das jetzt so beschäftigt, mag sich der eine oder andere fragen, wo ich den Verkehr oben als chaotisch, freundlich, funktionierend beschreiben habe: Ich habe heute den ersten Verkehrstoten meines Lebens gesehen. Das ist schon verstörend.

Die Umstände nach dem Unfall waren derart, dass man sie als Deutscher nicht einmal in Erwägung zieht. Man sah aus der Ferne schon, dass was passiert war. Auf der Straße lag ein Moped quer zur Fahrbahn, die Lieferung daneben – sah aus wie Stroh. Dann sagte Susann:
»Der liegt da doch nicht etwa? Das sieht aus wie ein Bein!«
Man stelle sich also vor, ein Unfallteilnehmer liegt unabgedeckt auf der Straße. Am Straßenrand standen dreißig, vierzig Leute – darunter Kinder mit Lutschern im Mund, und der Verkehr kommt nicht zum erliegen. Es wird rechts und links dran vorbeigefahren. Unser Fahrer fährt nicht viel langsamer als er sonst fährt an dem Unfallgeschehen vorbei (was als Kompliment gemeint ist, denn er ist weit von dem entfernt, was wir einen Raser nennen , viel eher ein Hutfahrer) und die anderen machen es auch so. Passiert ist passiert, das soll den Rest der Menschheit nicht aufhalten. Wie wirr die eigenen Gedanken in dem Augenblick sein können, zumindest für einen, der dies zum ersten Mal sieht, zeigt sich daran, dass ich tatsächlich glaube, der wäre vielleicht beim Schlachter gewesen und hätte seine Einkäufe verloren. Damit ist der Schauplatz perfekt beschrieben.

Es sollte ein ruhiger Tag werden. Vormittags ein paar Tempel, nachmittags hatten wir frei.

Die ersten beiden Tempel (der zweite trug den Namen Preah Koh) waren geschichtlich interessant, der dritte Tempel mit dem Namen Bakong Temple war zudem auch noch in einer schönen Anlage eingefasst und sehr gut erhalten.

Von dem letzten Tempel aus ging es über Landstraßen zu einem Dorf in der Nähe. Landstraße meint eigentlich mehr Piste und die besteht aus rotem Sand. Zur Zeit ist das eine staubige Angelegenheit, die sich zusätzlich darin manifestiert, dass die Pflanzen rechts und links des Weges nicht mehr grün sondern rot sind. So stellt man sich das auf dem Mars vor.

Ziel war eine Familie, bei der wir Essen sollten. Statt Restaurant. Meine Erwartungshaltung war eine komplett andere gewesen, als das was ich erlebte. Die Menschen waren nett gewesen, aber sie kochten, wir ruhten und gesprochen wurde nicht. Wir hatten ein wenig Kontakt zu den Kindern, die mit uns anbandelten und ein wenig was fragten. Allerdings waren die zwischen sechs und neun, da war es mit „echter“ Kommunikation noch nicht weit her.

Da das Warten langweilig wurde, bin ich noch ein wenig durchs Dorf geschlendert und von kleinen Kindern angesprochen (was nicht sehr ergiebig war), aber auch von einem jungen Mann. Da kam ein wenig Gespräch auf und er erzählte mir, dass am Vortag im Dorf ein Fest stattgefunden hatte und es aus Anlass dessen auch eine Parade gegeben hätte. Das wäre sicher interessant für uns gewesen, meinte er. Er fragte dann noch ab, ob wir sämtliche Tempel der Umgebung besucht hatte, aber schon nach dem dritten musste ich passen.

Um zu sehen, wie kambodschanische Familien leben, war der Besuch am Vorabend bei Mr. Munny viel lehrreicher, interessanter und witziger. Aber das Essen war gut. Mr. Munny und unser Fahrer bekamen teilweise anderes Essen als wir – eine Ungenauigkeit, die man mir verzeihen mag: sie bekamen anderes Fleisch als wir. Während wir beim Hühnchen die Brust gebraten bekamen, bekamen die beiden Knochen. Was sie wohl auch mochte. Kambodschaner essen auch alles an Innereien (sowohl beim Fisch wie auch beim Hühnchen), was aus unseren Tellern und Schüsseln von vornherein abgeschöpft worden war. Bei dem gegrillten Schlangenkopffisch, der rote Augen hat und dessen Ende Susann live miterlebt hatte, wurden uns die Innereien von Mr. Munny angeboten. Aber ich bin nicht wirklich ein großer Fan von diesen Dingen.

Hauptbestandteil ist Reis. Dazu gibt es keine Soße, wie wir das gewohnt sind, sondern halt Fleisch, Fisch und Gemüse. Gereicht werden Pasten, wie Fischpaste, Chili-Salz-Paste (die einen nachhaltigen Eindruck beim Essen hinterließ) und Pfeffer-Salz-Zitronen-Soße. Es war, und da ähnelte es doch sehr Vietnam, viel zu viel. Aber wen wundert’s, die Organisation der Reise lag in vietnamesischen Händen.

Kaum waren wir zurück im Hotel, meinte Susann, wir müssten uns um die Spa-Angelegenheiten kümmern. Es war nichts, mit einem kleinen Mittagsschlaf eingecremt mit dem neu erstandenen Tiger-Balsam, um die Erkältung weiter in Schach zu halten. Eine Massage war angesagt und Partner-Massage ist ja romantisch. Ich bin viel zu nüchtern, um zu erkennen, was an der Tatsache, dass man auf zwei getrennten Liegen liegt, Gesicht nach unten, so dass man den Liebsten bzw. die Liebste nicht sehen kann, während auf einem eine Kambodschanerin herumturnt und die Haut streichelt und Öl verteilt, romantisch sein soll. Warum in Gottes Willen haben wir neunzig Minuten gewählt? Viel entscheidender noch: Die Schnupfen-Problematik ist, wenn man auf einer Massage-Liege platziert worden ist, das Gesicht durch ein Öffnung schauend, ja noch viel anstrengender. Ich übte mich in der Meditation. Ob es die innere Einkehr war, die es mir ermöglichte zuzuschauen, wie ein Tropfen in Matrix-Slot-Motion in Richtung Boden fiel, bleibt aber trotzdem offen. Ob ich es genossen habe? Da möge man mich noch einmal fragen, wenn ich gnädiger drauf bin.

Nach der Massage brauchte ich erst einmal Erholung und während Susann danach noch mehr Erholung brauchte, trieb es mich noch einmal in die Straßen von Siem Reap. Gucken, wie die Leute so leben. Einfach in die Seitengassen gehen. In dieser Stadt kam man das am Besten auf der anderen Seite es Flussufers. Ich habe damit noch nie schlechte Erfahrungen gemacht und das Gefühl, dass die Leute sich freuen, wenn man mal hinter die Kulissen guckt. Die Kinder grüßen alle mit einem freundlichen »Hello!« und winken, und die Erwachsenen lächeln und nicken einem freundlich zu. Das ist mehr, als einem im Hotel von den anderen Gästen widerfährt, wenn man sie anschaut und anlächelt. Von Europa will ich da gar nicht erst anfangen…

In der Nähe des Hotels gab es noch einen Markt, dem man besichtigen konnte. Es war eine Menge los, wo das Neujahrsfest vor der Tür steht.