Nein, es soll keine Empfehlung für die Handhabung der Arbeitszeit sein. Das könnte ins Auge gehen. Aber ich habe festgestellt, dass ich interessante musikalische Entdeckungen gemacht habe, wenn ich entweder ganz früh aufgestanden war und Radio vor den Morgenshows hörte, über die ich mich jetzt nicht weiter auslassen möchte; oder so spät nach Hause kam, dass die Formatradio-Macher schon nach Hause gegangen waren und Leute, die wirklich was von Musik verstanden und verstehen, das Mikro und den »Plattenteller« übernommen haben.

Und wiederum nein, das ist keine neue Entwicklung. In einem früheren Text habe ich einmal beklagt, dass eine der Stimmen meiner Jugend heute bei einem norddeutschen Radio-Sender Verkehrsnachrichten- und Service-Meldungen vorliest. Ich will nicht den Untergang des Abendlandes herbeireden, denn der wurde ja schon mit der Erfindung des Radios herbeigeredet, wiederholte sich bei der Einführung des Fernsehens und kulminierte mit der Popularisierung des WWW (man ist ja schon froh, wenn man heute einen trifft, der noch weiß, was FTP heißt – Gopher kennt ja nicht mal mehr die Rechtschreibhilfe von Apple…) – aber irgendwie traurig ist es schon.

Traurig passt sowieso ganz gut, da bin beim richtigen Thema: »The White Birch«. An einem dieser frühen Morgenstunden fuhr ich die Autobahn und der DJ legte eine Scheibe auf, die mich absolut entzückte. Das Stück hieß »Beauty King« und war so traurig. Danach nannte er den Namen der Band und am nächsten Tag war eine meiner ersten Aktionen nach der Band zu recherchieren. Sehr viel hatte sie nicht produziert und das Album war in Deutschland für die damals üblichen CD-Preise von über dreißig Mark zu bekommen. Aber ich musste sie haben! Und Tage später war meine.

Die Songs auf dieser CD sind durch die Bank sehr, sehr besinnlich. Wer versucht, seine Stimmung mit dieser Musik zu heben, liegt völlig falsch. Hilfreich ist die Musik, wenn man versucht abzuschalten oder von eine geputschten Stimmung herunterzukommen. Damals, ich hab’s erst heute bei der Suche gelesen, schrieb der SPIEGEL:

“Star Is Just The Sun” überschreitet, mal betörend, mal verstörend, die imaginäre Grenze zwischen Langsamkeit und Bewegungslosigkeit.

Kann man das noch toppen, mag man sich fragen, wenn man melancholischer Musik nicht abgeneigt ist? Ja, kann man: Vier Jahre später kam eine CD mit dem Titel »Come Up For Air« heraus, die noch besinnlicher, noch ruhiger als der Vorgänger ist und zu meinen absoluten Favoriten gehört. Wer sich dagegen in die andere Richtung bewegt, der wird überrascht sein: Der Vorgänger des 2002er Albums ist rockiger und von ruhiger Stimmung kaum etwas was etwas wahrzunehmen.

Und da ich sowieso, dank der gerade laufenden Musik von »The White Birch«, in melancholischer Stimmung bin, will ich nicht versäumen mitzuteilen, dass es ganz so aussieht, als hätte sich die Band aufgelöst. Vielleicht hatten sie Selbstmordgedanken und haben vorher beschlossen, vorsichtshalber aufzuhören. Das würde ich verstehen, auch wenn ich nach mehr Musik dieser Art dürste…

Anspieltipps von diesem Album: »Breathe«, »Beauty King« und »Glow«