Erst öffnete sie das eine Auge, dann langsam das andere. Die dunklen Vorhänge ließen kein Licht herein, aber es gab ein untrügliches Zeichen dafür, dass es Zeit war, sich zu erheben. Das verdammte Telefon spielte die Melodien für Millionen in unglaublicher Perfektion und ihr Liebster hatte seine Augen schon offen.

Was er wohl dachte? Spielte das eine Rolle? Für Sue schon. Sie, die so sehr an ihrer Mutter hing, die so weit weg war und jetzt nicht auf sie aufpassen konnte. Sie, die vor langer Zeit schon ihren Vater verlor, den sie schätzte und liebte. Es war wichtig, was dieser Mann dachte fühlte. Witzig und charmant. Gut aussehend und warmherzig. Sie würde über ihn wachen, wie über ihren Augapfel und die tägliche Tasse Kaffee.

Jedoch: War es richtig gewesen, dass sie diese Reise angetreten hatte, die nur mit einem Flugzeug zu bewältigen war? Einem Fluggerät, dass schwerlich zu erklären war und jederzeit seinen Höhenflug beenden konnte und dann auf dem Boden zerschellte, wie ein übermütiger Fisch, der durch die Brandung an harten Felsen Cornwalls geschleudert wird.

Nein, sie bereute bisher nichts. Eine starke Frau wie Sue, konnte nur diesen einen Weg gehen.

Tapfer stieg sie aus dem Bett und prüfte, was ihre Geschäftspartner in der ganzen Welt, ihr über Nacht zugeschickt hatten. Der tapfere Assistent, den sie zurücklassen musste, da er sich nicht von seiner Frau und seinen Kindern trennen wollte, bekam Anweisungen zugesandt. Voller Zuversicht, dass ihr Assistent die ihm vertrauten Aufgaben erledigt, ließ sie sich in einen Taumel von Freizeit fallen.

Der Tag begann mit dem täglichen Frühstück. Wichtig war Sue, dass dieser Tag mit einer „schönen Tasse Kaffee“ anfängt. „Nur so“, sagte sie allen, die sie fragten, „könne man in den Tag starten. Ich werde nicht wach, wenn ich das Zeug nicht bekomme.“ Da sie dabei so strahlte, machte es nichts, dass Sue es jedem erzählte – auch ausgeprägten Anhängern der englischen Tee-Kunst und den Juice-Liebhabern der Welt.

Ihrem Liebhaber machte es nichts. Er war nur in Sorge, ob Sue auch ihr glutenfreies Brot bekommen würde. Ein Tag ohne Kaffee, mag nichts sein. Aber ein Tag ohne anständiges Essen war ein Horror. Pam, die Wirtin, brachte ihre den gewünschten Kaffee und dann kamen auch schon Ulf, ihr Fahrer, und Susanne, Sues Freundin herein. Die beiden waren glücklicherweise verheiratet, so dass es zu keinen Konflikten kam, dass die beiden in ein und dem selben Zimmer untergebracht waren.

Da Sue unbedingt Kaffee trinken wollte, schlossen sich die beiden an und tranken auch das braune Gebräu, von dem die „wahren“ Herrschaften von Cornwall so gar nichts hielten. Sue war das egal, wichtig war ihr, dass sie Koffein bekam, dass schnell und zuverlässig wirkte. Tee war nett, aber keine ernstzunehmende Alternative zum dem schwarzen Gold aus wärmeren Gefilden. Als Pam auch noch das Full English Breakfast brachte, war Sue ganz aus dem Häuschen:

„Das ist ja super! Kartoffeln, Würstchen, Eier, Tomaten und Champignons. Das ist ja alles so gesund!“

Ulf meinte darauf hin:

„Das finde ich auch. Früher hatten wir ja nichts.“

Man muss wissen, dass Ulf kein richtiger Norddeutscher war, sondern zugereist aus den märkischen Gefilden. Für Sue machte das keinen Unterschied. Für sie war jeder Mensch ein Mensch.

„Was machen wir denn heute. Ulf, hast du irgendwelche Vorschläge, wo uns unser Automobil hinfahren könnte?“

Verlässlich wie Ulf als märkischer Mensch war, hatte er am Vortag eine Broschüre aus der Umgebung mitgehen lassen.

„Ja“, meinte er, „ich könnte verschiedene Sachen vorschlagen. Besonders gefällt mir ein Gut in der Nähe, das auch einen Garten hat.“

„Nein“, rief Sue voller Entzücken, „ich bin dabei!“

Ihr Liebhaber warf ein, dass man auch mit einem Boot die Küste entlang fahren könnte.

„Was für eine reizende Idee!“ meinte Sue, „gibt es denn ein Boot, was jetzt demnächst fährt?“

„Das ist der Hasenfuß an der Geschichte“, sagte ihr Liebhaber, „wir haben keinen Plan.“

„Dann lass uns zum Hafen gehen und nachschauen“, erwiederte Sue und hüpfte aber erst einmal in ihr Zimmer, um sich frisch zu machen und die Sachen zusammenzupacken, die eine Frau auf einem Schiff benötigen würde. Mit zwei Jacken, die sie gut kleideten, stand sie vor der Tür und wartete auf ihre Freundin und deren chauffierenden Liebhaber. Ihr eigener Liebhaber schmachte sie über den Tisch ihrer Residenz hinweg an und fragte:

„Ist alles in Ordnung, mein Schnuckel – Du siehst so blass aus. Ist die Bootsfahrt in Ordnung.“

„Ja, alles in Ordnung. Ich will das!“

Ihr Liebhaber strahlte über das ganze Gesicht. Er mochte so starke Unternehmerpersönlichkeiten wie Sue. Voller Zuversicht streckte sie ihr Gesicht in die Sonne, um Energie zu tanken, für einen weiteren aufregenden Tag. Wer würde der Kapitän sein, der sie sicher an den Klippen Cornwalls entlang steuern würde? Könnte die Matrosen an Bord ihr die gleiche Zuversicht wie ihre Freunde geben? Leichte Zweifel beschlichen sie, aber ihr Wundertelefon hatte gesagt, es gäbe heute keinen Sturm, sondern nur 21 Grad Celsius und Sonnenschein.

Sie warteten am Hafen auf ein Boot. Aber es kam keines. Es war wie ihn einem schlechten Roland-Kaiser-Lied, nur in schöner Atmosphäre. Sie beobachteten, die Fischer, wie sie mit ihren braungebrannten Oberkörpern auf den Schiffen rumhantierten. Es sah alle so professionell aus. Aber ob die braungebrannten Körper von der Sonne oder Bräunungscreme gebräunt worden waren und ob sie auch gestählt waren, wie Sue es sich für die Ehefrauen der Recken der See wünschte, wusste sie nicht. Sie kannte aber die Angst der Ehefrauen, die jeden Morgen ihre Männer ziehen lassen mussten, und keine Gewissheit hatten, ob die See ihre Männer am Abend wieder hergeben würde. Schön wäre es natürlich schon, weil viele der Frauen einen Horror davor hatten, den Benzin-Rasenmäher anzumachen. Wozu ist sonst ein Mann im Haus, wenn nicht für das und um die Spinnen zu töten?

Sue konnte diese Gefühle gut nachvollziehen.

Das Boot kam nicht. Der Chauffeur hatte einen guten Vorschlag geliefert. Das wäre eine Option, die auch für Sue, die nicht unbedingt auf die See musste, sehr akzeptabel war. Besser als jede andere, wusste Sue, dass auch der Automobilverkehr nicht frei von Gefahren war. Ganz und gar nicht. Gerade mit ihrem Ulf, der ein verlässlicher Verkehrsteilnehmer war, aber nicht immer hundertprozentig mit dem Linksverkehr zurecht kam. Es war eine Schande, dass die verrückten Engländer von diesem Missgriff in ihrem Straßenverkehr einfach nicht abrücken wollte. Die ganze Welt musste für sie Fahrzeuge bauen, die anders waren. Demnächst würden sie noch auf die Idee kommen, den Fahrer in der Mitte zu positionieren, damit es in dreiköpfigen Familien keinen Ärger gibt, wer vorne sitzen darf.

Ihr Liebhaber, der dem Gedanken an die raue See vor Cornwall noch nachhing, wollte nicht aufgeben. Er erblickte am Hafen eine Frau, die kundig anderen Menschen Auskunft gab. Sie hatte auch ein Namensschild. Wer, wenn nicht diese Frau, konnte ihnen weiterhelfen? Sue und ihre Freunde eilten zu der Frau:

„Könnten Sie uns vielleicht weiterhelfen?“ fragten sie den Frau auf Englisch mit deutschen Akzent.

„Vielleicht“, antwortete diese in reinem Englisch.

„Wissen Sie, wann hier ein Schiff abfährt?“

„Nein“, sagte die Frau, die hier nur Helena heißen soll, „ich bin Guide einer amerikanischen Touristengruppe. Deshalb kann ich Ihnen das nicht sagen.“ Dann fügte sie auf Deutsch mit englischen Akzent an: „Wir können auch Deutsch sprechen.“ Sue war so froh, dass sie eine neue Freundin gefunden hatten. Zwar wussten sie immer noch nicht, wie sie das Boot erreichen sollten. Aber auch das würden sie noch herausfinden.

Sue hörte, wie Helena zu ihrem Liebhaber und dem Chauffeur sagte: „Wenn Sie ein romantisches Plätzchen suchen, dann gehen Sie dort die Treppe nach oben. Nach drei, vier Minuten haben Sie einen wundervollen Ausblick auf die Küste von Cornwall, so wie ihn Rosamunde Pilcher in ihren Büchern beschreibt.“

„Das machen wir“, riefen die beiden Männer wie aus einem Munde. Sue liebte an ihrem Liebhaber, dass er einen ausgeprägten Sinn für Romantik hatte. Selbst kleine Handreichungen, wie ihr das Salz zu reichen oder den Rücken zu kratzen, wandelten sich in einen Sturm der Gefühle, in dem es nur so knisterte. Es war natürlich schön, dass im Anschluss das Essen auch gesalzen war – gerade bei der hiesigen Küche war das sehr wichtig -, aber wichtiger war für Sue, dass diese kleinen, liebevollen Gesten wie Kit in ihrer Beziehung wirkten.

Sue hatte, als sie den Chauffeur einstellte, auch geschaut, ob Ulf ein Romantiker ist. Beim der Probefahrt erkannte sie, wie liebevoll er mit dem Auto umging; wie er sich um die Kotflügel des Prachtexemplars eines tschechischen Wagens sorgte, dass er zu ihrem Leben passte.

Die beiden Männer hatten ihr, wie üblich, angeboten, sie nach oben auf den Felsen zu tragen. Sue konnte sich jedoch für keinen der beiden entscheiden und ging deshalb selbst mit nach oben. Oben stockte ihr der Atem, erst weil es ein recht steiler Anstieg gewesen war, dann vor Schönheit. Ihr Herz schlug höher. Konnte es sowas wirklich geben?

„Ist das wahr?“ fragte sie ihre Gefährtin.

„Ja, das ist wahr“, antwortete Susanne, ihre Freundin.

Susanne hatte immer eine Antwort parat. Das war es, was Sue an ihr liebte. Man konnte Susann in allen Lebenslagen fragen, um eine ehrliche und offene Antwort war sie nie verlegen. Die neue Freundin war auch mit nach oben gekommen, vermutlich um zu schauen, ob sie gut angekommen waren, und erzählte ihn noch ein wenig über die Küste von Cornwall und was es Sehenswertes gab.

„Wissen Sie“, meinte Helena, „die Engländer kennen diese Rosamunde Pilcher nicht.“ Als diese vor Jahren einen Preis für ihre herausragenden Dienste um die deutschen Gefühle für englische Romantik-Reisen bekommen sollten, fragten sich die Journalisten, wer denn diese Frau überhaupt sei. Sie würde auch nur von wenigen Menschen in England gelesen. Die Freunde waren entsetzt, wie man eine Vorkämpferin für Romantik, die so viel Gutes für die deutschen Fernsehstuben getan hatte, in England links liegen lassen kann – oder wie es in England heißt: „rechts liegen lassen“.

((Fortsetzung folgt vielleicht))

Was gibt es zu berichten? Unser erste Ziel außerhalb vom Polperro war am gestrigen Tag ein Herrenhaus, dass es in sich hatte: Lanhydrock. Wir kamen, wieder einmal, über sehr schmale Straßen an diesen Ort. Vom Parkplatz aus ging es zum Herrenhaus. Da ist man ein Weilchen unterwegs ohne dass man das geringeste von einem Herrenhaus sieht. Man muss schon fast davor stehen, dann erschließt sich mit einem Male die Anlage.

Am Eingang kann man entweder den Besuch des Gartens oder des Gartens plus dem Herrenhaus bezahlen. Als National Trust Touring Pass-Inhaber mussten wir weder noch und freuten uns wieder wie die kleinen Kinder. Im Eingangsbereich des Hauses standen nette Damen in Kostümen und kontrollierten, ob uns Einlass gewährt wird. Dann tauchten wir in eine andere Welt ab und es ist keine Untertreibung, wenn ich sage, dass ich so etwas noch nirgendwo anders gesehen habe (weder auf dieser Reise in England noch auf anderen Reisen) und dass ich glaube, dass dies noch schwer übertroffen werden kann.

Lanhydrock ist seit 1969 in der Hand des National Trust, nachdem das letzte Familienmitglied gestorben war. Das war eine Dame, die dort noch Wohnrecht hatte. Wir bekamen fünfzig Zimmer zu sehen und man fragte sich unwillkürlich, was denn eine alte Dame mit einer solchen stattlichen Anzahl von Zimmern macht. Das wie immer sehr kundige Personal sagte mir, dass sie nur noch einen Trakt bewohnte und „nur“ fünf Bedienstete hatte. Der Rest wäre vermietet gewesen.

Es lohnt immer, die Menschen in den Häusern zu fragen. Sie freuen sich wirklich, wenn man sich mit ihnen über den Schatz unterhalten, den sie im Auge haben. Nie gab es einen der abweisend reagiert hätte und es scheint keine dummen Fragen zu geben. Meistens ist es so, dass man ein wenig Mühe hat, sich zu lösen, da sie noch viel, viel mehr erzählen könnten.

Beeindruckend waren in jeden Fall die Gesinderäume und die Küche. Bei anderer Gelegenheit gab es eine große Küche und das war es. Hier hatte jede Tätigkeit im Küchenbereich einen eigenen Bereich. In dem einen wurde gebrachen, im nächsten gebacken und im wieder nächsten alles mit Milch gemacht.

Ein Highlight ist gewiss schon der Salon der Familie, den man zu sehen bekommt. Mir kam er reichlich vollgestellt vor und deshalb musste ich auch die Salon-Dame fragen, ob das wirklich damals so aussah. Sie bestätigte mir das: Es wäre ein Salon der victorianischen Zeit und es war so üblich. Das Zimmer sei nach alten Fotos rekonstruiert worden.

Biegt man dann ums Eck kommt man einen großen Saal, der über die Jahrhunderte für die verschiedensten Aktivitäten genutzt wurde. Lange Zeit war er eine Galerie mit Büchern, davor aber auch Ballsaal und eine Zeit lang hat man dort auch Kricket gespielt. Das i-Tüpfelchen war aber, dass am Ende der Galerie ein Mann an einem Flügel saß und spielte. Man kam sich wirklich so vor, als würde man als Herrschaft in diesen Saal kommen und sich verlustieren.

Der Garten ist auch ganz nett. Aber wer nur nach Lanhydrock fährt und den Garten besichtigt, der hat auf jeden Fall das Wichtigste verpasst.

Es war drei Uhr als wir das Anwesen verließen. Dreißig Kilometer weiter gab es noch die „Lost Gardens of Heligan“ – vielleicht wäre das wirklich ein Event gewesen, von dem wir begeistert gewesen. Wenn wir an diesem Tag nach Lanhydrock gefahren wären. Dringende Empfehlung also: Lasst es! Verlasst es und fahrt zum Strand, an einen Küstenabschnitt oder in den Pub. Aber besucht nicht irgendetwas anderes, was mit Garten oder Herrenhaus zu tun hat.

Wir waren im Dschungel-Teil des Gartens und dort gibt es einen Hängebrücke. Das wird wohl das bleiben, was uns im Gedächtnis bleibt, denn damit konnte Lanhydrock nicht aufwarten und es war auch ganz spannend zu sehen, wie unsere Sicherheitsbeauftragte die Brücke testete.

Den Abend verbrachten wir sehr entspannt in dem Restaurant vom Vorabend – alle hatten eine Vorspeise, aßen Fisch und es gab auch ein ordentliches Dessert – bevor wir mit vollem Magen zurück in die Unterkunft stiefelten.