Eine kieferorthopädische Behandlung hatte zu meinen Kinder- und Jugendzeiten zwar den Nachteil, dass man mit einer scheußlichen Klammer im Mund herumlief, aber man war ja nicht der Einzige. Scheußlich müssen Klammern wohl auch sein, wenn ich mir die Klammern heutzutage anschaue, kommt nicht unbedingt Neid auf, das sieht immer ein wenig nach einer Mischung aus Science Fiction und Frankenstein aus. Aber es gab auch zwei Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen waren (und teilweise sind).

Von dem einen Vorteil partizipiere ich heute: Meine Zähne sind recht gut, weil Zahnputz-Faulheit umgehend von meinem Kieferorthopäden Dr. R. (einem netten und ruhigen Mann mit Vollbad, was ich faszinierend fand, weil es so viele Männer mit Vollbad an meiner Umgebung nicht gab) bemerkt und angemahnt wurde. Danach strengte man sich an, denn die Kontrolltermine waren alle vier Wochen. Und damit komme ich gleich zum zweiten Vorteil: So viele Kieferorthopäden gab es damals nicht und man suchte sich nicht einen Termin aus, man bekam einen. Der lag verhältnismäßig oft zu Zeiten in denen ich gerade Mathe- oder Zeichen-Unterricht hatte. Ich sage ja nicht, dass man überhaupt keinen Einfluss darauf hatte.

Da ist mir so manche Leistungskontrolle erspart geblieben und über den Zeichenunterricht bzw. seinen Vollstrecker könnte ich mich heute noch stundenlang auslassen, ohne dass ein positive Wort dabei fallen würde. Was mir als Vertreter des Simenonschen »Verstehen, nicht urteilen« einen faden Nachgeschmack hinterlässt, aber selbst an diesem faden Geschmackserlebnis kann ich dem Herrn Zeichenunterrichts-Vollstrecker K. noch Schuld geben und diese Tatsache wiederum scheint mir fast wie ein später Triumph – ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, für wen.

Heute war ich also beim Zahnarzt und ich liebe Zahnarzt-Besuche. Das ist so eine Kombination aus Rathaus- und Finanzamt-Besuch. Die letzten Jahre war es oft so, dass ich irgendwo anders war (möglichst weit weg von zu Hause), und ich vermute, dass ich an einem Schild mit einem gelben »Z« (Z für Zorro) vorbeigegangen bin, dies aber nicht bewusst wahrgenommen habe, sondern ein kleines Programm in den hinteren Regionen anlief: »Moment mal, der war aber auch lange nicht beim Zahnarzt. Zähne! Habt ihr irgendwas?« Und die Zähne antworteten: »Nöö, aber wir könnten mal unseren self check laufen lassen.« »Gute Idee«, kam dann noch zur Antwort, worauf hin ich Zahnschmerzen bekam und wusste, ich müsste mal wieder zum Zahnarzt. Nicht dringend, weil es ist ja nichts. Da war in den letzten Jahren nie was, und um meinem alten Zahnarzt ein Auskommen zu sichern, habe ich mir mal meine Weisheitszähne ziehen lassen, obwohl er beteuerte, es wäre nicht unbedingt notwendig. Dafür muss ich mir heute beim Zahnarzt anhören: »8. Nicht vorhanden.« Das tut weh, so als hätte man einen alten Freund verraten!

Das muss den Zahnärzten eine wahre Freude sein, mit diesem Picksdings durch die Zahnreihen zu gehen und überall ein wenig rumzustochern. Jaaa! Und dabei halt diese Nummern zu sagen und mit ein paar Wortbrocken zu entscheiden, ob es schlimm ist oder nicht. Mein Zahnarzt vom letzten Jahr, der war ein ganz Netter, hätte ich auch wieder genommen, aber er zog es vor, eine Praxis in der Nähe von Segeberg zu eröffnen und soweit reicht meine Loyalität dann doch nicht; dieser Zahnarzt nun, der schaute sich die Zähne an, sagte eine Nummer und schob dem verdächtig oft etwas von »Karies« nach. Mindestens fünfmal fiel das Wort und mir wurde schon ganz schlecht. In Gedanken versuchte ich nachzuvollziehen, was sich denn an meiner Zahnhygiene so massiv verschlechtert hatte, das innerhalb eines Jahres plötzlich diese Ausfallerscheinungen zu verzeichnen waren. Er ließ von meinem Mundwerk ab, richtete sich auf und meinte: »Alles in Ordnung.« »Ja, aber Sie haben doch andauernd von Karies gesprochen…« Eine wegwerfende Handbewegung begleitete die Antwort: »Ach das, das ist normal.« Ich war nahe dran, das erste Mal in meinem Leben einem Mann um den Hals zu fallen, zumal mir noch wildfremd.

Als Trost haben die Zahnärzte dann immer Zahnarzthelferinnen, wozu ich nicht mehr sagen möchte, als dass ich noch nie eine hässliche Zahnarzthelferin gehabt habe. Das kann nun am Geschmack der Zahnärzte liegen, die damit eigene Defizite auszubügeln versuchen; es könnte an mir liegen, der sich gute Zahnärzte mit hübschen Zahnarzthelferinnen aussucht, oder – zugegebenermaßen eine recht gewagte Interpretation, es gibt auch nicht so gut aussehende Zahnarzthelferinnen, aber die Hübschen reißen sich darum, mein heldenhaftes Verhalten im Zahnarztstuhl bewundern zu dürfen und gewinnen immer.

Für die Damenwelt wird beim Zahnarzt, bis auf selbigen, recht wenig geboten. Aber diese sind, soweit ich gehört habe, ja recht angesehen – was ich an dieser Stelle nicht vertiefen möchte.

Heute, bei Dr. E., den ich das erste Mal besuchte, gab es ein Gespräch vorneweg. Wahrscheinlich wollte er sich vergewissern, ob ich wirklich Privatpatient bin, und nachdem ich das bestätigen konnte, rief er einmal laut in die Runde: »Volles Programm«. Die hübschen Zahnarzthelferinnen stürzten in das Behandlungszimmer, gaben mir mein Sabberlätzchen und dann ging die Zahnzählung los. Als wir dann alle Zähne beieinander hatten, gab er mir bekannt, dass er zwei Sachen gefunden hätte, die er sich näher betrachten möchte und dafür wäre Röntgen notwendig. Des weiteren müsste er sich eine Füllung betrachten, die wäre nicht mehr ganz in Ordnung, wie mir vielleicht auch schon aufgefallen wäre.

Mir? Ähmm, ich? Sagen wir mal so, ich schau ja so schon kaum in den Spiegel. Aber mich mit geöffneten Mund vor einen Spiegel zu stellen und in selben zu gucken, vielleicht noch mit einer LED-Taschenlampe hinein leuchtend, um zu inspizieren, ob das Mundwerk denn schon ein loses geworden ist – unvorstellbar. Ich musste die Frage verneinen, was mit diesen runden Nopsis ziemlich schwierig ist.

Nun war ich ja in einer Praxis gelandet, die viel Wert auf Prophylaxe legt. Theoretisch war ich völlig einverstanden mit dem Behandlungskonzept des Doktors, als es zur praktischen Ausführung kam, beschlichen mich aber erste Zweifel. Das Ausmessen von Zahntaschen und das damit verbundene Ausrufen von Ziffern ist kein Vergnügen. Wichtig: Niedrige Zahlen sind gut, hohe Zahlen sind schlecht. Zwei und drei, sage ich mal, sind normal, bei vier zuckte ich das erste Mal zusammen und bei fünf machte ich mir darüber Gedanken, ob es gut wäre, wenn ich mir ein schneeweißes Lächeln zulegen würde oder ob ich besser meine Naturfarbe, durch Cola und Schokolade gestählt, beibehalten sollte. Ganz so gravierend war es dann aber doch nicht, denn von Karies war ja noch nicht viel zu sehen, auch die eine Stelle, hätte er nicht sofort repariert (ganz im Gegensatz zu mir, der sich sagt, wenn ich schon mal hier bin, dann wird es auch sofort gemacht. Eine Einstellung, die nicht mit dem Programmschema des Doktoren zusammenpasste, welches sich eher am Privatradio orientierte.), aber ich lernte: Man kann noch so kariesfreie Zähne haben, wenn man Paradontose hat hilft das nicht viel, denn dann fallen auch die gesunden Zähne aus.

So war am heutigen Nachmittag nur die kleine Reparatur der alten Füllung (wahrscheinlich noch aus DDR-Zeiten) fällig und ich komme nun zu der kleinen Episode, die mich zu diesem schönen Titel inspirierte.

Und Zahnstein! Hat man so was als Kind nicht oder waren wir in der DDR so unterdrückt und arm, dass Zahnstein dort auch ausfiel? Könnte es ein, dass Zahnstein eine Erfindung aus den 90ern ist? Ich weiß es nicht. Aber kurz nachdem der Arzt einem gesagt hat, es wäre ja alles in bester Ordnung (oder halt: es wäre fast alles in bester Ordnung, außer…), kommt der Satz: »Dann machen kurz noch mal den Zahnstein weg.« Die Zahnfee auf der linken Seite lächelt einen seelig an und hält einem so einen Absauger in den Mund und kurz darauf werden die Zähne poliert, man krampft im Stuhl zusammen und denkt: »Zum Schluss hat er dich doch noch gekriegt!« – aber man will ja der Held der Zahnarzthelferin sein, und lässt sich nichts anmerken.

Ich war kaum aus der Tür heraus und wollte zum Auto gehen, da durchfuhr es mich: »Du hast eine Zahnfüllung bekommen, gut nur repariert, aber Füllung ist Füllung. Wann darf ich denn jetzt das nächste Mal essen?« Also noch mal rein in die Praxis und gefragt, wann man denn etwas essen dürfte: »Wenn sie keine Betäubung bekommen haben, dann sofort.« Gut, das war geklärt. Denn früher, da durfte man erst nach zwei Stunden was essen. Genau. Aber dürfen und sich dran halten, sind natürlich zwei ganz unterschiedliche Sachen. In grauen Vorzeiten hatte ich mal gemeinsam mit meiner Schwester einen Zahnarzt-Termin. Dieser verlief nicht ganz so erfolgreich und ich bin mir nicht sicher, ob wir beide eine Füllung bekamen oder nur einer von uns beiden. Wahrscheinlich beide. Auf jeden Fall spazierten wir vom Zahnarzt durch die Einkaufsstraße zurück zum Busbahnhof, und wollte es nicht ein dummer Zufall, das just auf diesem unseren Weg ein Bäcker lag? Nun hatten wir schon so lange beim Zahnarzt gewartet und hatten vorher ja auch nicht essen können, weil man ja mit sauberen Zähnen beim Zahnarzt sein wollte (da kenne ich heute, nachdem ich die Tarife der Herrschaften kenne, übrigens kein Pardon mehr und bin mir auch nicht zu schade, vorher einen Döner essen zu gehen, um dann danach … aber ich greife eigentlich schon vor und wieder nach.), und irgendwie musste man sich auch belohnen, schließlich hatte man alle Zähne behalten – wir gingen also in das Bäckereigeschäft und jeder kaufte sich was. Ich weiß, bei mir war es eine Rumkugel. Zufrieden spazierten wir weiter und hatten kaum den letzten Schlucken runter, da entfuhr es mir: »Ähh, die Plombe…«

Wenn Zahnärzte dann später durchzählten, habe ich Kopf immer noch eine raufgerechnet, die, die meinen Körper vielleicht in einem Gemenge mit einer Rumkugel wieder verlassen hat.

(Sollte ich an der Stelle noch schreiben, dass der Artikel meiner Schwägerin gewidmet ist?)