Vor ein paar Jahren fuhren wir nach Lüttich. Das Wetter war die ganze Zeit nicht so berauschend gewesen, aber in Lüttich war es überhaupt nicht mehr lustig. Regen, Regen und nochmals Regen. Wir blieben nur eine Nacht und waren nicht der Überzeugung, dass wir wirklich wiederkehren müssten. Taten wir aber doch und siehe da: Bei Sonnenschein stellte sich die Stadt ganz anders dar. Nette Ecken, Plätze, bezaubernde Gässchen – eine Stadt, wie man sie sich als Tourist wünscht.

Als ich das erste Mal nach Paris kam, sah ich nicht allzuviel. Es war mörderisch früh, es war dunkel und den ersten Eindruck, den wir bekamen, war der von der Innenstadt in der Nähe des Gare du Nord. Das ist nicht verzückend, aber das ist schon das touristische Paris. Bei nächsten Mal flogen wir nach Paris und auf dem Weg in die Stadt, bekamen wir von dem Links und Rechts nicht viel mit, weil wir wie gebannt auf das Taxameter starrten und von jedem erscheinenden Betrag flugs 15% rechneten, denn wir hatten im Reiseführer gelesen, dass dies der Betrag wäre, der dem Taxifahrer zustände. War eine ganz schöne Rechnerei, denn so ein Taxameter kann sich ganz schön fix bewegen. Später erst sah ich dann, dass das Umland von Paris vieles ist, aber nicht entzückend. Wenn man dieses dann noch bei schlechtem Wetter präsentiert bekommt, ist man schon bedient, bevor man in der Stadt ist.

Ein kleiner Schlenker: Mein Flieger ging heute Morgen wieder um 7 Uhr. Das ist unerträglich früh und ist mit Aufstehen um 3.30 Uhr verbunden. Keine Zeit für jemanden, der in der EDV arbeitet – viele aus der Branche gehen um die Zeit wohl erst zu Bett. Aber letzte Woche und vorvorletzte Woche war es ja genauso. Man gewöhnt sich nicht dran, sondern resigniert angesichts dieser Zeit. Letzte Woche sorgte die Lufthansa für einen erhöhten Adrenalin-Ausstoß, in dem sie mich eincheckte, aber dann mitteilte, dass ich keine Sitzplatz hätte. Ich wurde umgebucht und flog über Frankfurt. Heute morgen hatte der Apparat auch eine spaßige Meldung für mich parat: Für mich wäre kein Flug vorgesehen. In dem Augenblick spielt man mal kurz die verschiedenen Möglichkeiten durch: Die Dame im Reisebüro hat Mist gebaut. Man hat gar keine Information gegeben, dass man fliegen möchte. Es ist das falsche Datum gebucht worden.

Aber nein, ich hatte doch rauf geschaut und die Flugbuchung für o.k befunden. So machte ich mich auf dem Weg zum Ticketschalter, wo mir eine gut gelaunte Mitarbeiterin der Lufthansa mitteilte, das wäre völlig korrekt, ich hätte für den heutigen Tag kein Ticket. Klimper. Klimper. Klimper. Ich soll doch mal zur AirFrance gehen, dort wäre ich heute gebucht. Der Flieger würde auch um sieben Uhr gehen. Das war ja ein mieser Aufmerksamkeitstrick von unserem Reisebüro. Da ich genügend Zeit hatte, war das alles gar kein Problem. Ich konnte einchecken.

Schlenker zu Ende. In der RER nach Paris konnte ich dann mal von CDG2 abfahren. Der Zug war rappelvoll und die Kombination mit dem Gepäck verstärkte das noch. Mir gegenüber saß ein Rucksack-Tourist, augenscheinlich aus den USA. Rucksacktouristen heute sind auch mit der Videokamera unterwegs – das gab’s zu meiner Zeit noch nicht. Und dann noch ein Modell, bei dem man das Display drehen kann. Schon nett. Er filmte den Abfahrtsbahnhof, allerdings nur für wenige Sekunden, denn schon kurze Zeit später, war es draußen dunkel – wir fuhren in einen Tunnel. Kaum tauchte das erste Lichtlein auf, da machte er sich daran, wieder zu filmen. Nun kannte ich die Vorstellungen nicht, die er hatte. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass diese manchmal sehr, sehr naiv sind und mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben, bedauerlicherweise wie man natürlich sagen muss, weil die eigenen Vorstellungen (zumindest die meinen) sehr positiv besetzt sind. Aber Flughäfen der Größenordnung von Charles de Gaulle liegen außerhalb und meist in einer eher tristen Umgebung. Ist die Umgebung nicht trist von Natur aus, so wird sie kurze Zeit später sein.

Aber er hatte dieses Lächeln der Vorfreude auf seinem Gesicht. “Ich fahre nach Paris! Gleich bin ich in der Stadt der Städte.” Hinter uns spielte ein Akkordeon-Spieler und scheute sich nicht, für die Kamera des jungen Mannes zu agieren. Der war seelig, wie die übrigen Touristen übrigen auch. Auf den Gesichtern der Geschäftsreisenden war ein wissende, abgeklärtes Lächeln zu sehen – der Mann sang gut, aber nicht französisch sondern italienisch, was zu einer Fahrt nach Paris in einem französischen Vorort-Zug nun überhaupt nicht passt. Aber der Musiker hatte seine Freude, weil er anderen Menschen eine Freude gemacht hatte. Das war irgendwie schön.

Der Musiker war schon längst im nächsten Wagen, da kamen die Vorstädte von Paris ins Bild. Schrecklich, wie sie nun mal sind. Manche Ecken erinnern an den Osten kurz nach dem Abriss der Mauer. Zumindest gibt es solche Mauern auch, nur nicht in der Länge. Die Gesichtszüge des jungen Mannes fingen an, zu entgleisen. Die Kamera hatte er schon unten. Wie gesagt, ich wusste ja nicht, was ihm versprochen worden war. Das, da bin ich mir sicher, hatte er nicht erwartet. Ich sprach ihn an, uns sagte ihm: “Keine Sorge, Paris ist schön.” “Wirklich?” “Ja, ganz sicher, die Innenstadt ist schön.” Er glaubte mir und war beruhigt.

“Lebst Du hier?”
“Nein, ich komme aus Deutschland.”
“Ah, das ist mein nächste Ziel. Du arbeistet hier?”
“Ja, aber nicht direkt in Paris.”
“Aha, wo denn?”
“In der Normandie.”
Die kannte er, denn er konnte mir gleich Städte nennen. Merkwürdigerweise kannte er Saint-Lô aber nicht. Egal.

Wie, fragte er mich, käme es denn, dass ich ihn englisch angesprochen hätte und nicht deutsch oder holländisch. Nun ja, sagte ich, zum einen wäre da die Kamera, dann wären da die anderen Touristen und dann wäre da die frühe Zeit, die für einen Flieger aus den USA sprachen. Aha, das leuchtet ihm ein. Ich sagte, die nächste Station wäre Gare du Nord und seine Station wäre wohl die nächste.

Die Verbindung zum Bahnhof St. Lazare war heute superdoll. Klappte bestens. Im Zug bewies die französische Bahn, dass sie genauso viel Spaß an kleinen Neckereien hat, wie man es von der Deutschen Bahn kennt. Ich kam in einen Waggon und es waren keine Reservierungen angeschrieben. Toll, dachte ich mir, da habe ich mal ordentlich Glück. Das sollte sich aber bald legen. Erst standen die Herrschaften neben mir auf, dann die hinter mir und zum Schluss dann ich. Einen Platz bekam ich dann noch, der Zug war heute aber wirklich voll.

Nun warte ich mal auf die anderen Spässchen, die Bahngesellschaften normalerweise für ihre Kunden bereithalten: richtige Verspätungen, umgekehrte Wagenreihungen und nicht funktionierende Klimaanlagen.