Zwei Monate ist es her, da stand ein Mann vor unser Haustür und wollte Haustürgeschäfte abschließen. Die ersten zehn Euro knöpfte er uns für das Mühbrooker Dorffest ab, die zweiten zehn Euro bekam er für die Dorfchronik des hiesigen Ortes, welche druckfrisch erschienen war. Ach ja, es war unser Nachbar, der da vor der Tür stand. Irgendwann lag dann auch das offizielle Programm im Briefkasten.

Der Tag des Dorffestes nahte nun unaufhaltsam und gestern war es soweit. Eigentlich ja schon Freitag, aber da war Kinderprogramme. Nichts für uns (obwohl man da durchaus Zweifel haben kann, wenn man uns so auf dem Rasentraktor sieht), so auch gestern vormittag. Für den Nachmittag war eine Kaffeetafel angesagt, die mich hätte locken können. Andererseits war das Wetter so gut, dass man ein bisschen was im Garten machen konnte. Die Zeit wollten wir nicht ungenutzt vergehen lassen. Also keine Kaffeetafel, kein Kuchen.

Susann hatte beschlossen, dass wir nochmal Grillen sollten und besorgte Grillfleisch. Ich eröffnete ihr, dass wir ja nochmal zum Dorffest müssten. Aber sie meinte, eigentlich hätte sie keine Lust. Der Satz, der abrupte Stimmungswechsel erzeugen kann, lautet: Kein Problem, ich kann auch allein gehen. Nöö, dann kommt sie doch mit. Ehrlich: Ich hatte auch nicht so richtig Lust. Geselligkeit ist nicht unbedingt meine Kardinaltugend und, nun ja, großen Trubel schaue ich mir lieber auf DVD an.

Aber es ist ja nun mal die Gelegenheit, Menschen aus dem Dorf kennen zulernen. Also machten wir uns auf den Weg zum Festplatz, der auf dem Boule-Feld aufgestellt war. Das wussten wir schon, da wir die Donnerstags-Boule-Runde am Donnerstag heimsuchen wollten und dort statt Boule-Spielern nur ein Zelt sahen.

So, ein, zwei, drei Seelen kannten wir ja schon im Dorf und die kannten uns auch. Aber das ist natürlich nicht viel. Aber dazu gehört ein benachtbarter Jäger und der Mann der Bürgermeisterin (in einer Person, versteht sich), der auf uns zukam und nach einer kurzen und herzlichen Begrüßung ohne Umschweife zum eigentlichen Mittelpunkt dieses Festes kam: dem Vogelschießen. Vorher hätte ich noch sagen können, ich wüsste nicht genau, was damit gemeint war. Auf dem Festplatz stehend, einen großen Vogel aufgehängt sehend und davor Männer, die mit einer Armbrust unter dem Gejohle der Anderen auf dieses Pressholz-Tier (Verdacht…) schießend, war sofort klar, worum es ging. Nur die Folgen waren mir nicht ganz klar. Für die Frauen gab es ein eigenes Schießen, es wurde auf Lollis geschossen. Nicht minder ernst, aber nicht ganz so laut.

Da wir nur mit zwanzig Euro auf den Platz gekommen waren (was wir uns dabei gedacht haben, kann ich nicht recht sagen, aber wir hatten und auch gesagt, wenn es uns nicht gefällt, dann können wir ja auch wieder gehen, so nach einer Stunde; und irgendwie sind wir davon ausgegangen, dass es uns nicht gefällt). So sagte ich zu meinem Nachbarn, freundlich ablehnend, wir hätten nur noch fünfzehn Euro und die bräuchten wir für die Getränke. Die fatale Antwort: Ach, das Geld würde er uns erst einmal leihen. MIST! Ich drückte Susann fünf Euro in die Hand und meinte, es würde genügen, wenn ein Mitglied pro Familie sich blamieren würde. Meine Frau unterstützend bin ich natürlich in Richtung Frauen-Schießstand gegangen, plauderte ein wenig mit einer Boule-Gefährtin und warf unvorsichtigerweise einen Blick in Richtung Männer-Vogelschießen, wo sich der Vogel schon flügellos war. Der Nachbar blickte zu mir, winkte mich heran und fragte, ob ich mich denn jetzt schon eingetragen hätte. Nööö, hatte ich nicht. Na, dann man los, das gehört dazu.

Susann meinte zu mir, ich dürfte ja nicht den Vogelabschießen. Dann müsste ich ja das ganze Dorf einladen und eine Runde schmeißen. Mit fünf Euro in der Tasche wäre das nicht so leicht gewesen. Wir brauchten einen Plan B. Und der hieß Geld holen. Da meine Bargeldreserven aufgebraucht waren, war es Susann, die von uns beiden auserkoren wurde, nach Hause zu tapern. Aber das sollte erst später akut werden. Während ich darauf wartete auf diesen Vogel zu schießen, kamen zwei Mädchen vorbei und fragten, ob ich an einem Schätz-Spiel teilnehmen wollte. Fünfzig Cent sollte es kosten, das konnte ich mir gerade noch erlauben. Ich hatte auch nichts besseres zu tun, kannte keinen übte mich im ungeselligen Warten, also konnte ich auch erraten, wie viel Wasser in einen Gummihandschuh hineinpassen würde, bevor er platzen würde. Ich schrieb meinen Schätzwert auf, meinen Namen und warf ihn in den Zettel.

Blöde Fragen, die man nicht stellen sollte: Wird der Vogel nächstes Jahr wieder verwendet?

Meine Frau sah ich in einem angeregten Gespräch mit einer anderen Frau. Super! Sie hat schon Anschluss gefunden, während ich gleich in die nächste Krise bekam. Mir wurde in Bier ausgegeben. Das freut einen, macht einen aber auch besorgt. Merken, dachte ich mir, das nächste Mal gleich mehr Geld mitnehmen. Und merken, wer die einen ausgegeben hat. Der Vogel wurde dann erlegt, und wir haben jetzt einen King Ralph, ob jemand an John Goodman dachte, weiß ich nicht, manchmal darf man allein lachen. So schlenderte ich nach der Krönung gemächlich rüber zu meiner Frau und lernte die Gesprächspartnerin meiner Frau kennen. Die beiden waren sich nahe gekommen, da sich Susanne Susann als Neu-Mühbrookerin offenbart hatte. Später erkannten sie noch mehr Gemeinsamkeiten: beide hatten sie mit Chemie zu tun und gleich alt sind sie auch ungefähr. Und aus Berlin kommt sie, womit dann auch eine Gemeinsamkeit zu mir zu finden ist. Also super-dufte. Der Quasi-Mann kam dann auch dazu und noch ein weiteres Paar, welches altangestammt ist im Dorf. Es wurde fleißig gedutzt und dann kam wieder dieser Satz: Ich gebe dann mal einen aus! Oh, nicht schon wieder…

Wir hatten dann noch die Gelegenheit, die Bürgermeisterin kennen zulernen; Susann holte dann etwas Geld, um uns weitere Peinlichkeiten zu ersparen und irgendwann zog sich unser Grüppchen in das Zelt zurück, belegte dort einen Platz. Dann kam die Siegerehrung: Es gab da ja nicht nur einen Gewinnern, sondern es wurden weitere Gewinner ermittelt, nach der Anzahl der Punkte (Treffer), die man im Wettkampf gelandet hatte. Da es natürlich Punktgleichheit gab, wurden die Sieger vorher durch einen Nagel-Ins-Holz-Klopp-Wettbewerb ermittelt. Aber zuerst fand die Siegerehrung beim Schätzwettbewerb statt. Als ich hörte, was die anderen so geschätzt hatten, dachte ich mir schon, da hast Du ja gute Chancen zu gewinnen: Der zweite hatte fünfzehnkommazwei Liter geschätzt, was etwa 4,8 Liter von dem entfernt war, was ich geschätzt hatte. Aber ich war am dichtesten dran. Denn es passten wohl fünfundzwanzig Liter in diesen Gummihandschuh. Gewonnen habe ich zwei dicke Schinkenstücke. Und da Schätz-König von Mühbrook nicht so doll klingt, erkläre ich mich hiermit zum Schinkenkönig. Meine blöde Vogel-Frage wird mir hoffentlich von den Alt-Eingesessenen damit verziehen werden. Susann war bei der Sieger-Ehrung nicht mit dabei und meinte anschließend nur: Typisch.

Vogel-Königin und -König bekamen neben einer großen Sekt-Flasche auch eine größere Geldsumme, die sie gleich spendieren durften. Freibier für alle. Sowas, ich gebe es ganz ehrlich zu, habe ich noch nie erlebt.

Dafür, dass wir nur gekommen waren, um zu gehen, hatten wir eine Menge Spaß.