Wenn Sie wüssten, wie es unter meinem Schreibtisch aussieht. Die Bücher stapeln sich, lauter Bücher, die ich schon gelesen habe und zu denen ich noch ein paar Worte verlieren wollte. Schwerwiegende Gründe kamen immer wieder dazwischen. Aber jetzt, wo ich kaum noch treten kann, muss sich was tun. Hin und wieder muss das Labor aufgeräumt werden. Es ist an der Zeit und so wird jetzt jeden Tag eine Büchernotiz erscheinen, bis zu dem Tag, an dem der Bücherstapel abgearbeitet ist. Das kann schon mal einen Monat dauern.

Um Kathy Reichs habe ich lange Zeit einen Bogen gemacht. Vielleicht hing es mit meinen schlechten Erfahrungen zusammen, die ich mit »Die Tote ohne Namen« von Patricia Cornwell gemacht hatte. Zu Unrecht hatte ich die beiden in einen Topf geworfen. Mittlerweile bin ich geheilt und kenne auch den wohlfeilen Unterschied zwischen einer Gerichtsmedizinerin und einer Anthropologin, auch wenn die Unterschiede manchmal recht fein sind. Im Mittelpunkt der meisten Bücher von Kathy Reichs steht die Anthropologin Tempe Brennan, eine (vermutlich) gut aussehende Mitvierzigerin, die von ihrem Mann getrennt lebt und nun eine innige Beziehung zu ihrem Kater hegt. Sie ist eine Berufspendlerin, verbringt einen großen Teil der Zeit im heißen North Carolina – den übrigen Zeit in Montreal, wo es immer fürchterlich kalt ist.

In »Mit Haut und Haar« hat sie es mit einem Sommer-Fall zu tun. Sie ließ sich breitschlagen mit ihrer Tochter zu einem Picknick zu fahren, dass Freunde der Tochter veranstalteten. Es war ein netter Nachmittag, und auch der Hund, den Brennan in Pflege hatte, schien sich prächtig zu amüsieren. Bis zu dem Zeitpunkt, da der Hund die Knochen fand. Mordsschweinerei, fanden die Party-Gäste, denn Tempe Brennan konnte gar nicht anders: Sie setzte die übliche Mechanismen in Gang. Die Knochen mussten eingesammelt werden, um zu klären, ob der Hund eventuell auf menschliche Knochen gestoßen ist.

Brennan sucht sehr ausführlich in dem Knochenhaufen, der hauptsächlich aus Bärenknochen besteht. Bären? Darf man die schießen. In Deutschland, wie man den Nachrichten entnehmen kann, schon gut möglich, weil ein einzelner Bär eine ganze Region in Aufruhr versetzen kann und abends an den Öfen die Märchen vom bösen Wolf auf Bären umgedichtet werden. In North Carolina gehören sie vielleicht nicht zu den Tieren, die man in einer Großstadt erwartet, aber zur Natur gehören sie auf jeden Fall. Es gibt einige, aber nicht soviele, dass sie einfach so abgeschossern werden dürfen. Wer Knochen einfach so wegwirft, der hat gewiss gewildert.

Nun sind die Bärenknochen an sich schon schlimm genug, aber Tempe Brennan macht noch eine ganz andere Entdeckung. Inmitten der Bärenknochen findet sie auch menschliche Knochen. Das lässt nur einen Schluss zu: Mit diesen Wilderern ist nicht zu spaßen. Brennan merkt alsbald, dass diese Verbrecher jeden aus dem Weg räumen, der ihrem lukrativen Geschäft im Wege steht.

Erstaunlich, mit welchem Geschick sich die Gerichtsmedizinerin immer wieder in die Schusslinie der Verbrecher bugsiert. Das wirkt durchaus in der Geschichte plausibel, hat aber wahrscheinlich sehr wenig mit dem nüchternen Alltag der Anthropologen zu tun. Gelungen und das kann nur von einer echten Anthropologin wie Kathy Reichs so geschrieben werden, die Ausflüge in die fachlichen Gefilde. Das fatale an den Tempe-Brennan-Geschichten ist, dass man sich im Anschluss daran macht, sich neuen Stoff zu besorgen.