Wir waren im Frühjahr in Disneyland Paris. Das war schwierig mit Susann, da sie sich beharrlich weigert, in irgendeine Achterbahn zu gehen. Mit Achterbahnen ist es allerdings so, dass sie mir nur Spaß machen, wenn ich jemand habe, mit dem ich das Erlebnis teilen kann. Das geht mir mit anderen Sachen auch so: Ein guten Wein allein zu trinken, ist eine Verschwendung. Ein Kompromiss war gewesen, den Fliegenden Teppich zu probieren. Dieser stellte sich als Kinder-Karussell heraus – was gar nicht ging.

Die Variante von dem Fliegenden Teppich hatten wir heute auch auf der Bootstour. Statt Wildwater Rafting, was mir irgendwie vorschwebte, ging es in einem Schlauchboot den Thompson River herunter. Das war … erholsam, entspannend, eine Art Yoga-Bootstour. Man hatte die Chance, die Wildnis links und rechts zu beobachten – links war die Chance flussabwärts größer, da dort weniger Zivilisation war, aber letztlich haben wir außer ein paar Vögeln nichts weiter gesehen. Kein Wild, keine Bären … nur drei Stunden entspannende Flussfahrt.

Immerhin habe ich jetzt einen Gutschein, mit dem ich eine Wildwater Rafting-Fahrt innerhalb der nächsten zwölf Monate für die Hälfte des Preises machen kann. Das korrespondiert im Augenblick nicht mit meinen Urlaubsplänen. Aber gut…

Interessant, weshalb ich auch den Namen der Firma nicht nenne, was man so an Rechten abtritt, wenn man solch eine Fahrt antritt. Foto-Rechte? Geschenkt. Haftung bei Verletzungen oder Tod? Auf keinen Fall der Veranstalter. Öffentliche Bemerkungen zu den Sicherheitsmaßnahmen der Firma in Form von Kritik? Untersagt. Wenn man das so liest, signiert und unterschreibt, hat man nicht unbedingt ein gutes Gefühl. Die Leute sind aber unheimlich nett und dem Führer unseres Bootes würde ich bedingungslos vertrauen – zumindest in Gummi-Booten sitzend, die sich auf Flüssen bewegen. (Die Saison in Clearwater ist nicht unbedingt lang und oft hat er sich auch an den Victoria-Fällen als Bootsführer verdingt. Was für ein Leben!)

Nach diesem dreistündigen Ausflug, den wir mittags angetreten hatten, wurde ein wenig Gebäck besorgt und wir machten uns auf den Weg zu den Moul Falls. Da wir bei unserer gestrigen Wandung ja ein wenig in Schwulitäten geraten waren, machte ich mich diesmal vorher kundig. Nur, war es nicht so schön ausgeschildert, wie bei Ray’s Farm. Es gab allerdings nur die Information, dass es 2,9 Kilometer vom Parkplatz wären. Das teilte ich den Damen mit und die entschlossen sich, mitzumachen. Schön.

Wir marschierten los, das Weg war angenehm zu gehen – so bis etwa Kilometer 1,8. Dann wurde der Weg so, wie wir es schon am Vortag kennengelernt hatten: wild und uneben. Über Stock und Stein, wie es so schön heißt, bergauf und bergab. Matschig. Große Steine als Tritte, dadrunter oder drüber ein wenig Matsch, was das Laufen nicht beschleunigte. Bäume, unter denen man sich durchbücken musste. Irgendwie schön.

Dann kamen die Moul Falls. Man hatte den Blick nach unten. Man sieht also von hinten, wie das Wasser nach unten fällt und sich als Bach weiter durch den Wald schlängelt. Das ist – im höchsten Fall – nett. Aber als Wasserfall-Fan nicht befriedigend.

Im Reiseführer gab es eine Notiz, dass es nach unten einen glitschigen Weg gäbe. Das ist eine Untertreibung. Es ist ein glitschiger Weg, auf dem man stellenweise keinen richtigen Tritt hat, wer nicht aufpasst, gerät ins Rutschen. Der Weg ist stellenweise sehr schmal und an einen Seite – zum Wasserfall – gibt es dann einen Abgrund ins Gehölz. Wir haben Leute gesehen, die sind in Sandalen oder – noch besser – in Latschen zum Wasserfall marschiert. Keine gute Idee! Man sollte Zeit mitbringen – denn der Weg zur Wasserfall-Plattform ist gegen das nun Kommende, wenn man sich drauf einlässt, ein Spaziergang.

Ich musste da also runter. Susann sagte nach kurzer Zeit einfach »Nöö«, wofür ich Verständnis hatte und was mir auch lieb war, denn allein runter zu gehen ist etwas anderes, als zwei Damen zu beaufsichtigen und an der Hand zu halten.

Frau Schwiegermama gab sich mit dem »Nöö.« ihrer Tochter aber nicht zufrieden und drängte, auf weiteren Abmarsch. Ich bin also wieder rauf und fing an, zu assistieren. Lustigerweise kommen dann Treppen. Erst aus Stahl, sehr schön und sauber, dann auch Holz. Auch gut zu treten. Bevor es, den letzten Rest, sehr natürlich und rutschig nach unten geht.

Wenn man die Treppen geschafft hat, und sich entschließt dort zu bleiben, wird man schon belohnt. Der Ausblick ist sehr schön.

Geht man weiter, ist man unten von der Wucht wirklich überwältiend. Ich habe keine Fotos gemacht, was mich ärgert. Es gibt nur Video-Schnipsel. Ich nehme an, dass man die Wucht und Macht auf einem Film besser sehen kann.

Das Schöne (und Gefährliche) ist, dass man unter den Wasserfall herum gehen kann. Nicht in den Wasserfall hinein, das ist schlichtweg unmöglich. Ich habe mir den Weg angeschaut und dachte: »Nöö. Verrückt biste ja, aber lebensmüde nicht.« Die Grenze zur Selbstüberschätzung ist ein ganz schmaler Grat. Dann sieht man die Leute auf der anderen Seite und hinter dem Wasserfall – und kein einziger von denen wirkte unglücklich. Die Leute, die zurückkamen, wirkten irgendwie beseelt, lachten und waren pitschnass.

Na gut, wenn man das schon hinter sich gebracht hat, kann man auch den Rest machen. Vorsichtig wie eine Susann, machte ich mich auf den Weg. Es war wirklich laut, feucht und überwältigend. Wenn man den Grad hinter den Wasserfall geschafft hat, ist man einfach nur noch überwältigt und glücklich. So stelle ich mir das Gefühl vor, wenn man als Bergsteiger einen Berg bezwungen hat. Die Gefahr ist überwunden. Ach ja, da war – wenn man den Bergsteiger-Vergleich nimmt – noch der Abstieg. So musste auch wieder rum und ich kann eines sagen: Ich habe einen Mords-Respekt vor dem Weg gehabt und ich fand, dass es zurück schlimmer war.

Dann ging es wieder aufwärts. Ich sammelte unterwegs Susann und die Frau Schwiegermama ein – die Reihenfolge war: ich vorneweg, um der Frau Schwiegermama zu helfen, selbige dann als Zweite (irgendwie logisch) und dann Susann als Nachhut. An einer Stelle war auch Susann zu helfen und die Frau Schwiegermama positionierte sich ein wenig vor mir. Während ich noch dabei war, Susann zu helfen, glitschte mir die Frau Schwiegermama weg und hing mit einem Bein über dem Abgrund und kam nicht wieder hoch. Der Pfad war so breit, dass dort gerade mal ein Mensch stehen konnte und sollten wir die Frau Schwiegermama, die in leichter Panik war, wieder hochbringen. Da ich unmittelbar hinter ihr stand, habe ich noch nicht einmal sehen können, was genau passiert war, sondern hielt sie fest und zerrte an ihr. Huii, das war ein Gefühl! Was in solchen Sekunden in einem vorgeht, lässt sich kaum in Worte fassen – es war nur noch Panik. Man kann nicht zurücktreten und sagen, lass uns das mal objektiv betrachten und einen guten Plan machen – was mir eigentlich immer am Liebsten ist. Man merkt, dass es im richtigen Leben keinen Speichern-Knopf gibt und man noch einen Versuch hat.

Wie gefährlich die Situation wirklich war, lässt sich nicht einschätzen. Dazu hätten wir es so belassen müssen, wie es war und nicht eingreifen dürfen. Allerdings war das keine Option und Neugierde in dem Augenblick keine Triebfeder.

Als wir wieder am Auto waren, waren wir bei fast sieben Kilometern. Das war schon ein wenig mehr, als am Parkplatz angeschlagen war und womit wir – bei Verdoppelung der Strecke – gerechnet hätten.

Wir waren wieder mal spät am Stellplatz, hauten die Steaks in die Pfanne, duschten jeder kurz, und sind nun hundemüde.

Was für ein schöner Tag!