Gestern haben wir ausgeschlafen … wenn man so will. Wir sind erst um zwanzig vor acht Uhr aufgestanden. Der Ablauf ist dann immer der Gleiche: Man wäscht sich, putzt die Zähne, geht dazu ggf. zum Wasch- bzw. Duschhaus, dann wird Kaffee gemacht, der Frühstückstisch gedeckt und ab geht es in Richtung nächstes Ziel. Gestern ein wenig später, schließlich wollten wir nur von Mt. Robson in Richtung Jasper. Das sind gerade mal schlappe hundert Kilometer und die sollte man in einer Stunde schaffen.

Das schafft man auch ohne Probleme. Einen Teil des Tages hat wir so banalen Dingen wie »Wäsche waschen« gewidmet. Waschmaschinen in solchen Centern verbringen bemerkenswerte Leistungen. Wo sich unsere Miele zu Hause mal locker anderthalb Stunden Zeit lässt, vermeldet so eine Center-Waschmaschine schon nach 25 Minuten, dass alles sauber sei. Dann heißt es nur noch ein paar Quarter für den Trockner zu Opfern und schon geht es weiter.

Während die Damen die Zeit nutzen, um Sachen in Jasper zu erledigen (nebenbei: nette Touristenstadt in schöner Umgebung, in der man hauptsächlich Geschäfte und Restaurants findet … und halt das Waschmaschinen-Zentrum), war ich damit beschäftigt bei einem Füll-Level von 19% alle Sachen mit dem Laptop zu erledigen, die zu erledigen sind, wenn man vier Tage nicht online war. Also Berichte einstellen, die Mails und sozialen Netzwerke checken, anhand von SPIEGEL Online überprüfen, ob Deutschland immer noch dem Untergang geweiht ist. Ich war mit Allem fertig, als der Füll-Level des (alten) Laptops bei 3% war und er anfing rumzujammern. Gerade rechtzeitig.

Auf dem Plan stand noch der Maligne Lake und eigentlich auch die Tramway auf die Whistlers. Im Touristenzentrum lernten wir dann, dass beides an einem Tag wohl nicht mehr möglich wäre – schließlich wäre es schon kurz vor drei Uhr. Kurz vor drei? Am Mt. Robson hatten wir doch nur die Abwässer entladen und sind dann Richtung Jasper gefahren. Gefrühstückt hatten wir auch in Jasper, ja, schließlich hatten wir auf dem letzten Camping-Platz keinen Strom, womit uns sonst nur ungetoasteter Toast als Grundlage geblieben wäre – so nah an der Zivilisation keine Option (wir haben gelernt und jetzt auch Brot und Knäckbrot an Bord). Wie konnten wir nur schon halb drei Uhr haben?

Ahh, in Jasper hatte man eine andere Zeit und musste die Uhren vorstellen. Wer hätte das ahnen können? Ich bin mich immer noch am wundern, konnte es aber mangels Internet nicht überprüfen. In Calgary waren wir um 17.00 Uhr losgeflogen, haben eine Stunde gebraucht und waren um kurz nach 18.00 Uhr in Vancouver. Warum hat man nun in Jasper eine andere Zeit? Oder hat man uns in Calgary zeitmäßig übers Ohr gehauen?

Egal. Zum Lake Maligne brauchte man ungefähr eine Stunde, dann würde das letzte Boot fahren, und die Tramway zu den Whistlers wäre in der entgegengesetzten Richtung – wir entschieden uns für den See.

Zurück zu unserem Wagen, uns schon die Frage stellend, in welche Richtung wir wohl fahren müssten, zumal das Navi den See als Point of Interest nicht kannte.

 

Wir waren um zwanzig vor drei Uhr samt unserer frischen Wäsche am Auto und machten uns auf den Weg. Auf Verdacht. Dann standen wir an einem Bahnübergang. Die ersten zwei Minuten fand ich den langen Güterzug noch interessant. Die Container in zwei Etagen – wo hatte man das sonst schon mal gesehen. Lange Züge gibt es auch in den USA, aber der schien gar kein Ende zu nehmen. Nach vier Minuten kam aus der Gegenrichtung auch ein Zug angerollt und blieb irgendwann stehen. Der erste Doppel-Container-Zug (DCZ) rollte immer noch. Dann kam eine Lok. Mittendrin. Ahhh. Nach zehn Minuten war der DCZ durch und der andere Zug setzte sich wieder in Bewegung.

In einer Stunde sollte das letzte Schiff an dem See ablegen und eine Stunde sollte man auch brauchen. Wo es war, wussten wir zu dem Zeitpunkt immer noch nicht. Wir fuhren weiter auf Verdacht, denn irgendwo gab es ein Schild zur Seilbahn und da fuhren wir einfach in die andere Richtung. Dass es die richtige andere Richtung war, stellte sich erst später raus.

Konsequent fuhr ich 15 km/h zu spät, was ich im Ausland und in Touristen-Gegenden eigentlich nie mache. Eigentlich bin ich, seit dem ich den Camper fahre, das fahrende Hindernis, da ich konsequent weniger fahre, als der fahrende Toaster hergibt.

Dann kam der Moment, der bei zwei Dritteln der Belegschaft helle Begeisterung auslöste, in mir aber nur Entsetzen. Ein Bär! Nicht, dass wir den Bär entdeckt hätten, ganz und gar nicht. Irgendwer hatte den Bär entdeckt und war stehengeblieben, ausgestiegen, fing an zu fotografieren. Andere sahen den Bären dann auch und taten das Gleiche. Da der Bär sich einen Platz gesucht hatte, der nicht mit den Viewpoints der Parkverwaltung korrespondierte, war die Straße dicht. Ungelogen: Die Leute haben ihre RVs mitten auf der Straße abgestellt, die Warnblink-Anlage einschaltet und stiegen aus. Ich sah den Bär und freute mich nicht.

Irgendwann nutzte ich die Macht des RVs und fing an, durch die Lücken zu steuern. Es ist erstaunlich, wie kooperativ PKW-Fahrer sind, wenn ein solches Gefährt unterwegs ist. Um acht Minuten vor vier waren wir am See. Susann wurde vorgeschickt, um Karten für das Schiff zu besorgen, die im Übrigen mit etwa 60 Dollar pro Nase ein Vermögen kosten, und das Schiff notfalls mit Überzeugungskünsten oder Gewalt (das war ihr freigestellt) aufzuhalten.

Wir waren fast die letzten an Bord. Und es war ausgebucht. Es hat sich gelohnt.

Handlungssprung.

Alle Geräte waren aufgeladen. Es war acht Uhr. Wir wollten in Richtung Icefields Parkway aufbrechen. Der Wecker hatte um 6:30 Uhr geklingelt, es war noch leicht düster. Die Damen wollte nicht aufstehen. Als ich beim Frühstück dann anfing abzuräumen, um ein wenig Aufbruchsstimmung zu erzeugen, wurde ich schon mal angemaunzt. Dann maunzte Susann die Frau Schwiegermama an, weil sie Wasser beim Abwaschen verschwenden würde – ein ganz sensibles Thema – mit dem Resultat, dass Susann jetzt immer abwaschen muss, und dann bekam ich noch mal zu hören, dass diese morgendliche Hektik den Damen nicht gefällt. Wir schauen jetzt mal, ob mein Einwand, dass beim rechtzeitigen Aufstehen um 6:30 Uhr der morgendliche Ablauf auch entspannender laufen könne, in den nächsten Tagen Früchte trägt.

Handlungssprung.

Um vier Uhr heute Nachmittag, wir hatten die Attraktionen des Tages beschaut, bestaunt und waren glücklich, kamen wir auf den Campingplatz unserer Wahl. Nun, viel Wahl hatten wir nicht, denn der eine Campingplatz war nicht schön und die anderen hatten schon zu. Dieser war nicht reservierbar gewesen, wie die meisten entlang des Parkways. Wir fuhren in die Reihe 2, entdeckten noch einen Platz mit der Nummer 16. Susann wurde abgesetzt, um den Platz zu besetzen. In Reihe 1 war die Nummer 1 auch noch frei, aber Susann war der Meinung wir hätte mit der 16 aber einen guten Platz. Da richteten wir uns dann ein. Das waren wohl auch die beiden Plätze, die noch frei gewesen sind. Wir stellten unsere Stühle vor den Camper auf und schauten dann bei gekühlter Cola, Light-Bier und Wasser den Ankommenden zu, wie sie einen Platz suchten. Für mich eine gute Gelegenheit, die Lektion, dass frühes Aufstehen gute Plätze auf den nächsten Campingplätzen sichert.

Wir fingen den Tag mit einem wunderschönen See, der einem einen Postkarten-Motiv aus See plus Berg lieferte, wir aber nicht wissen, wie er heißt – zumindest nicht so lang, bis die Internet-GPS-Auswertung gelaufen ist, um dann über die Athabasca Falls zu den Sunwapta Falls zu gelangen. Ersterer ist eindrucksvoll und man kann sich ziemlich lang mit ihm beschäftigen; die Sunwapta Falls sind auch einfach zu erreichen, allerdings ist hier der Canyon beeindruckender, über den der Sunwapta davonfließt.

Auf den Weg zu den Gletschern kamen wir noch am schönsten Wasserfall der Tour vorbei. Die anderen beiden kamen mit voller Wucht an und waren einfach gewaltig. Dieser, der im Augenblick für uns noch namenlos ist, kam mit weniger Wasser daher, welches sich über eine größere Fläche verteilte. Grazil ist das Wort was mir dafür einfiel – treffender ist eigentlich noch die Bemerkung einer Frau, die ebenfalls den Wasserfall hinauf kletterte – ach ja, es gab was zu klettern – »pretty nice«.

Schlussendlich noch die Icefields. Beeindruckend sind sie in jedem Fall, besorgniserregend ist das Ganze auch. Die Park-Ranger haben Schilder über die Meilensteine des Gletschers aufgestellt. Es ist eine deprimierende Geste. Es lässt sich jetzt schon ausrechnen, wann der Gletscher nicht mehr vorhanden sein wird. Bis dahin werden die Leute immer weiter bis zum Gletscher laufen müssen. Der Weg, den wir hatten, war schon viel anstrengender, als der, den die Leute 1992 hatten oder gar 1982. Da wo heute der Parkplatz war, lag 1940 noch dickes Gletschereis; von 1906 mal ganz zu schweigen.

Was wird wohl aus den schönen Wasserfällen, wenn die Gletscher nicht mehr da sind? Das mal als Wasserfall-Fan gefragt. Wie wird die Trinkwasser-Versorgung in dieser und anderen Gegenden aussehen, wenn die Gletscher nicht mehr da sind? Die Fragen, die die Folgen der Erderwärmung aufwerfen, sind so zahlreich. Wenn man es so vor Augen geführt bekommt, kann einem Angst und Bange werden.