Terra Gallus

Lichter der Tankstellen

Die erste Nacht, die wir in diesem Hotel verbracht haben, verlief nicht ganz so ruhig. Zum einen war da der Verkehr, der draußen die Straße entlang pulsierte. Den Trick, wie man das Fenster wirklich schließt, haben wir erst heute herausbekommen. Dann quälte Susann in der Nacht ein Krampf im Bein, eine schmerzhafte Angelegenheit, der nicht ganz lautlos von statten ging. Um die Sache richtig rund zu machen, brach die Armbanduhr von Susann mitten in der Nacht in Alarm aus, eine Folge ihres Versuchs, die Zeit auf Kieler auf Bostoner Niveau umzustellen.

Die letzte Nacht hatte auch ihre Reize. Wir kamen gestern abend in das Zimmer und es war lausig kalt. Das lag zum Einen an der Tatsache, dass es uns nicht gelungen war, das Fenster komplett zu schließen. Zum Anderen hatten wir keinen Plan, wie man die Heizung in Betrieb nahm. Wir waren guter Hoffnung, dass sie irgendwann von allein auf die Idee kommen würde, zu heißen. Den Gefallen tat sie uns aber nicht.

Wir schliefen unter mehreren dünnen Betttüchern dicht aneinander gekuschelt Arm in Arm. Wie romantisch, könnte man meinen und ich möchte mich dem anschließen. Wenn da nicht die Sache mit den kalten Füßen wäre. Heute nun haben wir eine kleine Einweisung bekommen und es gibt da ein klitzekleinen aber sehr wichtigen Schalter an der Klimaanlage, der bewirkt, dass sie sich einschaltet. Man muss Hotels auch begreifen.

Was den gestrigen Tag angeht, so war ich bei dem Punkt »Rundfahrt durch Boston« stehengeblieben. Es regnete also in den Bus leicht rein, was aber bussystembedingt war und man dem Tour-Veranstalter nicht richtig ankreiden konnte. Bill, der Fahrer, von dem ich meine, dass er so hieß, hatte viel über die Stadt zu erzählen und man merkte nicht nur, dass er Red-Sox-Fan war sondern dass er seine Stadt und die Restaurants wirklich liebte. Der optimale Führer durch Boston. Gesehen habe ich leider nicht ganz so viel, wie ich gewollt hätte, was daran lag, dass es draußen ununterbrochen regnete, das Niederschlag sich innen und außen auf der mehr oder weniger durchsichtigen Plane niederließ und zu allem Überfluss die Plane von innen noch beschlug.

Sagen wir so: Ich habe eine Ahnung davon bekommen, wie schön Boston sein kann, wenn es nicht regnet. Nach der Tour gingen wir durch den Quincy Market und ließen uns dann bei der Nudelkette Bertucci’s in der Merchantws Row nieder, wo es wirklich schmackhafte Nudeln gab. Nathan, unserer Kellner, schrieb noch dick Thank you auf die Rechnung, was mich wirklich etwas wunderte: Nicht, weil wir besonders schwierige Gäste wären, nein, das sind wir wirklich nicht. Vielmehr hat er die ganze Zeit die Rechung bei sich und sobald wir nach derselben rufen, zückte er sie. Jedesmal, wenn wir noch etwas bestellten, musste er die Rechnung neu drucken. Schreibt er jetzt jedesmal Thank you auf die Rechung oder hat er sieht er es den Gästen schon an, wann sie ihre Rechnung begleichen werden. Vielleicht hat er uns wirklich angesehen, dass wir keinen Kaffee mehr mochten und das Dessert auch ausließen?

Kinder, davon bin ich fest überzeugt, mögen zwei Sachen über alles: Im Matsch spielen und in Pfützen springen. Das mit dem Matsch hat sich für den erwachsenen Mann dann erledigt, wenn das mit dem Vater-Werden nicht klappt. Das mit dem in die Pfützenspringen, dafür gibt es noch Gelegenheiten, die sogar fast noch besser sind. Denn wenn man in eine Pfütze springt, so ist die hohe Kunst die, dass man selber nicht nass wird, dafür aber die Umgebung ordentlich schlucken muss. Was nicht immer gelingt. Es sei denn man sitzt im Auto und fährt schnell durch eine Pfütze. Wetter und Straßenzustand in Boston gaben das gestern zur Genüge her. Nimmt man es genau, so kann man sogar sagen, dass es sich überhaupt gar nicht vermeiden lässt und viele Straßen in der Stadt der ideale Platz sind, um zu lernen, was Aquaplaning bedeutet.

Unter solchen Voraussetzungen kam uns die Idee noch ein Outlet-Center in der Umgebung von Boston heimzusuchen. Vorbei Umgebung fast siebzig Kilometer hieße. Dafür mussten wir einmal quer durch Boston. Mir ist schon nach zwanzig Minuten aufgegangen, was für eine blöde Idee das gewesen war. Wir standen mindestens eine Stunde im Stau. Wenn wir Stunde vom gestrigen Vormittag und die Stunde vorm heutigen Nachmittag dazu nehmen, haben wir allein in Boston drei Stunden im Stau gestanden. Verschwendete Lebenszeit, wie es so schön heißt. Da konnte uns auch unser Tom-Tom nicht rausreißen, obwohl er uns zumindest gestern Nachmittag noch einige Dienst erweisen konnte. Seine Funktion, bestimmte Straßen zu meiden, ist schon eine feine Sache. Man hat aber das Gefühl, dass mindestens 90% der anderen Autofahrer entweder diese Funktion in sich eingebaut haben (man nennt es auch Erfahrung) oder das gleiche Gerät besitzen, denn man trifft sie auf der Umleitung wieder.

Zurück zum Outlet-Store: Eine feine Sache, wenn man Lust hat, was zu kaufen. Die war mir während der Fahrt irgendwie vergangen. Aber ich ging brav, wie es Männer tun, mit von Geschäft zu Geschäft und hätte mir beinahe ein paar Schuhe gekauft, die aber leider nicht in meiner Größe vorhanden waren. Susann kaufte sich ein neues Chronometer. Ich ließ mir einen Liebesapfel kaufen (heißen die roten, kandierten Dinger nicht so?).

Da ich nun draußen stand und meinen Apfel vernichtete (der übrigens nicht süßer sondern säuerlicher Natur war und ein genialer Kontrast zu dem Süßkrams drumherum war), musste ich nicht mit in alle Geschäfte. Da fiel mir auf, dass die meisten Läden mit US-Flaggen geschmückt waren. Der Patriotismus hier ist für mich, dem jeglicher Patriotismus abgeht, schwer erklärlich. Geschäfte, die zum Beispiel nur Schokolade aus der Schweiz anboten (ein Laden, in dem ich fast schwach geworden bin) oder Addidas hatten die Flaggen nicht. Dabei ist Lindt mit seiner Schokolade wahrscheinlich patriotischer als ein viele Läden, die die US-Flagge drankleben hatten und in deren Läden man dann aber feststellen muss, dass die Klamotten, Schuhe, was auch immer, Made in China sind. Da leistet das Sandmännchen ganze Arbeit um den Konsumenten Sand in die Augen zu streuen.

Im Dunkeln ging es dann heimwärts. Hier gab es noch ordentlich was zu Lachen. Susann kann ganz gut schlafen, wenn ich fahre. Sie war ordentlich müde und machte die Augen kurz vor Boston zu. Irgendwann wachte sie auf, guckte sich kurz um und meinte: »Gibt ganz schön wenig Tankstellen hier.« Eine Erfahrung, die ich nicht ganz teilte, denn ich fand, dass es sehr viele Tankstellen gab, aber ich kam nicht mehr dazu, meine Meinung zu äußern, denn Susann schlief neben mir schon wieder. Ratz, fatz, war sie wieder weg. Deshalb konnte sie heute morgen mit meinem Statement, dass Boston bei Nacht schön anzuschauen wäre mit seinen Lichtern, auch nicht viel anfangen. Wie auch?

Da es heute morgen, da endete der gestrige Geschichte, im Hotel kein Frühstück gab, sind wir zu Artie’s Place gefahren, der hier in der Umgebung auch Frühstück anbot. Ein typisch amerikanisches Frühstücks-Restaurant. Ich hatte ein Omelett mit Champignons und Würstchen, was mich auch ganz und gar sättigte. Susann hatte das Artie’s Big Breakfast. Da gab es nicht nur ein Omelett, sondern auch noch drei Pancakes dazu. Da ich schon mit meinem Omelett Mühe hatte, war klar, dass von Susanns riesigem Frühstück ordentlich was über blieb. Trotzdem: »Das mit dem Ahorn-Sirup war richtig lecker!« (O-Ton Susann)

Nach Artie ging es via Wonderland und der Metro nach Boston. Susann wollte in Bostoner Museum of Fine Art, in dem es eine Sonderausstellung von Edward Hopper war. Das ist der, der das große Bar-Bild gezeichnet hat (»Nighthawks«), von dem ich glaube, dass es nach dem röhrenden Hirsch das zweit häufigste Bild ist, das in Wohnzimmern anzutreffen ist. Ich hätte ja die 23 Dollar Eintritt dafür nicht ausgegeben, aber Susann wollte die Bilder unbedingt sehen und lud mich ein.

Sie bekam dann von mir auch ein paar spezielle Hinweise zu der Kunst Hoppers im Allgemeinen und im Besonderen, inklusive einer Erklärung dieses Bar-Bildes. Er ist ein großer amerikanischer Maler, das mag sein, aber mit den wenigsten seiner Bilder konnte ich etwas anfangen. Es hingen viele Bilder von Strand-Villen und Landschaften in der Ausstellung, für die ich mich nicht erwärmen konnte. Nennt mich einen Ignoranten, aber das ist nun mal so!

In dem Preis enthalten, und das stimmte mich später ein wenig gnädig, war der Eintritt in die ständigen Ausstellungen des Museums. So bekamen wir noch ein wenig amerikanische Kunst der letzten dreihundert Jahre zu sehen und da konnte ich mich für so Manches, sowohl alt wie auch modern, erwärmen. Wenn man in Boston ist, ist dieses Museum zu empfehlen. Mein Museums-Bedarf war für den heutigen Tag aber gedeckt.

Wir fuhren mit der Bahn in die Stadt und spazierten durch die Straßen. Ist einfach schön.

Dabei entdeckten wir in einem Keller ein kleines chinesisches Restaurant. Susann meinte: »Ah, ein Schnellrestaurant!« und so setzen wir uns einfach. Es war nur noch ein Platz frei, der Rest der Plätze war von Chinesen besetzt. Das war ein gutes Zeichen, wo findet man in Deutschland schon ein chinesischen Restaurant, in dem nur Chinesen essen? Mir ist noch Keines untergekommen, wenn man mal von den Etablissements absieht, die so mies besucht sind, dass nur das Personal und Angehörige des Küchenpersonals dort essen. Das Wisteria House in der Newbury Street ist also auf jeden Fall zu empfehlen, und bekommt nur deshalb Abzüge in der B-Note, weil es das Gericht, das ich eigentlich wollte, nicht zu haben war. Susann hatte mongolisches Lamm und war schwer begeistert

Am Charles River war nicht so viel los, die Leute haben bei Regen wohl besseres zu tun. So hatten wir die Eichhörnchen für uns. Nach einem längeren Spaziergang, bei dem es viel zu sehen und viel zu lachen gab, machten wir uns wieder auf den Weg zurück nach Wonderland und von dort aus (nachdem wir den Stau überwunden hatten), zum Hotel.

Nach einer kleinen Pause, bei der wir die Klimaanlage (s.o.) erklärt bekommen hatten, machten wir uns auf den Weg nach Salem, welches vom Hotel aus sieben Kilometer entfernt ist. Nach einem kleinen Spaziergang durch den Ort, der ganz nett anzusehen ist, machten suchten wir noch einen Inder auf, der erfreulicherweise über Durchschnitt gewesen war. Wir fragten uns allerdings, wir es möglich war, dass in diesem kleinen Raum von so wenigen Menschen eine solche Lautstärke erzeugt werden kann. Aber die Speisen, die Bedienung und der Rest des Ambientes konnten bei dem Restaurant Passage to India wirklich überzeugen. Es gab sogar einen Kellner, indischer Abstammung, der seine Deutsch-Kenntnisse an uns ausprobierte, die deutlich über Sauerbraten und Autobahn unseres Lieblings-Sales Managers hinausging.

Morgen geht es dann von Boston Richtung Northville.

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